Planlos und allein gelassen

Wissenslücken und Orientierungslosigkeit: Jeder dritte Studienanfänger fühlt sich nach einer neuen Studie „schlecht“ oder gar „unzureichend“ auf das Studium vorbereitet

Dass viele deutsche Schüler schlecht lesen und eigentlich auch nicht selbstständig Probleme lösen können, gehört seit Veröffentlichung der Pisa-Schulstudie schon fast zur Allgemeinbildung. Ebenso, dass die Republik von Chancengleichheit weiter entfernt ist als je zuvor: Nirgends ist die Kluft zwischen sehr guten und sehr schlechten Schülern so groß wie bei uns. Benachteiligt werden vor allem Kinder aus sozial schwachen, bildungsfernen oder zugewanderten Familien.

Unreife Schulabgänger

Doch nun stellt sich heraus, dass auch wer seine Schullaufbahn mit einer so genannten Hochschulreife verlässt, zumindest nach eigenem Bekunden alles andere als reif für die Hochschule ist: Jeder dritte Studienanfänger fühlt sich „schlecht“ oder gar „unzureichend“ auf das Studium vorbereitet. Das geht aus der jüngsten umfangreichen Studienanfänger-Umfrage des Hannoveraner „Hochschul-Informations-System“ (HIS) hervor.

Die Defizite liegen dort, wo man sie vermutet hätte: 41 Prozent bemängeln nicht ausreichende Computerkenntnisse, 32 Prozent vermissen Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens, ebenso viele Fremdsprachenkenntnisse. Jeder Vierte klagt über unzureichende Fähigkeiten in Mathematik, 23 Prozent über mangelndes politisches Grundwissen. Auch die eigene Unfähigkeit, sein Studium selbstständig zu gestalten, wird regelmäßig konstatiert. Fächerübergreifend gilt, dass Studienanfänger sich nicht nur schlecht vorbereitet, sondern auch als unzureichend informiert empfinden: Jeder Dritte gibt an, er habe vorab kaum brauchbare Informationen darüber, was ihn im Studium erwarte.

Zumindest Letzteres lässt Klaus Landfried, Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), nicht gelten. „Es gibt genug Angebote, man muss sie nur nutzen“, konstatiert Landfried. Wer sich rechtzeitig für einen Studiengang entscheide, könne durchaus schon an der Schule etwas für seine Vorbildung tun: „Wer Ingenieur werden möchte, sollte eben auch bis zum Abitur Mathematik belegt haben“, so Landfried.

Unis in der Pflicht

Nach Ansicht der HIS-Forscher sind aber auch die Hochschulen in der Pflicht, den Studenten mit speziellen Erstsemesterveranstaltungen, in denen Versäumtes nachgeholt werden kann, entgegenzukommen. Insgesamt, so das HIS, sei eine „Intensivierung des Dialoges“ zwischen Schule und Hochschule „unabdingbar“. Auf Nachfrage geht HIS-Forscher Ulrich Heublein einen Schritt weiter: „Was wir eigentlich bräuchten, ist eine College-Stufe nach US-Vorbild: eine Art Einführungssemester, das den Studierenden einen Raum zur Selbsterprobung bietet, ihnen aber auch eine Einführung in die Wissenschaft bietet.“

Alte Studienanfänger

„Viel zu spät“, kontert Landfried mit Verweis auf das mit 21,6 Jahren ohnehin überdurchschnittlich hohe Alter deutscher Studienanfänger – „dann werden die Absolventen der Universitäten ja noch älter“. Mit den übrigen Vorschlägen kann sich hingegen auch der HRK-Präsident anfreunden: Vor allem in Fächern, in denen die Schule keine direkte Vorbereitung auf die Uni biete – etwa in Jura –, seien Überblicksveranstaltungen à la „Einführung in juristisches Denken“ sinnvoll – aber auch zuweilen bereits im Angebot. Gleiches gelte für das Erlernen wissenschaftlicher Techniken. Grundsätzlich, so Landfried, könne man häufig ein passendes Angebot finden. Studienforscher Ulrich Heublein, der das bezweifelt, beschäftigt sich schon mit dem Folgeprojekt: mit der Erforschung der Motive von Studienabbrechern.

JEANNETTE GODDAR