■ „Eine totale Konfrontation bringt weder Sicherheit noch Frieden“
: Solidarität und Kritik

betr.: „Israel verteidigt“ (Rund 2.500 Mitglieder jüdischer Gemeinden in Deutschland demonstrierten in Frankfurt für Frieden und Solidarität), taz vom 11. 4. 02

Die bedingungslose Unterstützung der Politik Israels stellt dem Zentralrat der Juden kein gutes Zeugnis aus. Wer zivile Infrastruktur zerstört und aus Panzern in Flüchtlingslager schießt, kann sich nicht mehr auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen. Eine totale Konfrontation bringt weder Sicherheit noch Frieden.

Die Zahl der Anschläge hat sich durch die massive militärische Gewaltanwendung nicht verringert – im Gegenteil. Längst hat die Verzweiflung die gesamte palästinensische Bevölkerung ergriffen und die Logik des „Aug’ um Aug’“ eine beängstigende Eigendynamik erhalten. Das Versagen liegt insbesondere bei der Opposition in Israel, der Arbeitspartei und auch dem Zentralrat der Juden in Deutschland.

Im Interesse des israelischen Volkes muss die Arbeitspartei aus der Regierung austreten und kraftvolle Opposition mit eigenen Lösungsvorschlägen machen. Der Zentralrat muss sich von den völlig überzogenen Mitteln distanzieren und darf Solidarität nicht mit blindem Gehorsam gleichsetzen.

Die Bundesregierung, die hier sinnvollerweise eine sehr ausgewogene Haltung einnimmt, sollte mehr Unterstützung durch die Union erhalten, die plötzlich – warum auch immer – das Existenzrecht Israel in Frage gestellt sieht und Opposition um ihrer selbst willen macht. Solidarität mit Israel ja, Kritik muss aber genauso möglich sein. Wer pauschal Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzt, ist kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

ADRIAN DILL, Mainz

Mit Interesse las ich den o. a. Artikel, vor allem in der Hoffnung, eine differenzierte Sicht der jetzigen für beide Seiten grausamen Geschehnisse in Nahost zu bekommen. Was mir stattdessen als erstes auffiel, war das deutliche Eintreten des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, für die Aktionen des israelischen Militärs. Dies sei schließlich „im Interesse der ganzen Welt“.

Bei allem Respekt frage ich mich, ob Herr Spiegel jeden Hauch des Verständnisses oder der Verhältnismäßigkeit verloren hat. Gehört es zum Selbstverteidigungsrecht des Staates Israel, Presse sowie die medizinische Versorgung, vor allem im Westjordanland, massiv zu behindern? Ist es verhältnismäßig, Angehörigen palästinensischer Getöteter zu verweigern, diese zu beerdigen, so dass nach Fernsehberichten Leichen oft noch tagelang in den Wohnungen liegen bleiben müssen? Ist derjenige im Krieg moralisch überlegen, der vom Kampfhubschrauber eine lasergesteuerte Rakete auf einen Häuserblock abschießt, wohl wissend, dass dort höchstwahrscheinlich mutmaßliche Terroristen und unschuldige Zivilisten getötet werden? Gibt es irgendwelche Berichte, nach denen Ariel Scharon schon einmal ernsthaft Friedenspolitik betrieben hat? Ist irgendeine Region Israels durch seine Politik der verbrannten Erde sicherer geworden?

Terrorismus ist ein Verbrechen – kann man ihn nicht genauso behandeln, d. h. mit rechtsstaatlichen Mitteln, einschließlich der Festnahme (nicht Tötung) Verdächtiger und der Möglichkeit, sie vor ein ordentliches Gericht zu stellen? Was ist mit den zum Teil sehr deutlichen Berichten internationaler Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen wie UN/ EU/amnesty international im Bezug auf die derzeitige politische Lage in Nahost?

Ich war selber zwei Monate vor Ausbruch der Intifada in Israel und habe jede Menge Herzlichkeit, Gastfreundschaft sowie viele interessante Gespräche erfahren. Umso mehr macht es mich traurig und wütend, dass Israel in der Welt gerade ein dermaßen hässliches Gesicht bekommt, dass ich mich schon bei dem Gedanken ertappte, meinen damaligen Auslandsaufenthalt zu bedauern.

Ich habe immer Herrn Spiegels beharrliches Eintreten gegen den Antisemitismus geschätzt. Aber was bringt ein Polarisieren in Bezug auf einen bewaffneten Konflikt, wo die Emotionen kaum wie sonst irgendwo hochgekocht sind und es angebrachter wäre, eine deutliche Linie zwischen berechtigter Kritik an Israels Militärpolitik einerseits und blindem, dumpfem Antisemitismus andererseits zu ziehen? THOMAS KRATZ, Marburg/Lahn

Traum vom Frieden

Wer steht stundenlang in Nacht und Kälte, um den erschossenen palästinensischen Kindern und Jugendlichen eine letzte Ehre zu erweisen? Wer übernachtet auf einem harten, zugigen Gehweg, um einen Blick auf Zinksärge 20-jähriger israelischer Soldaten und die zerfetzten Überreste eines israelischen Zivilisten nach einem Selbstmordanschlag erhaschen zu können?

Welche Massen neigen demutvoll ihr Haupt vor dem in den Straßen des Westjordanlandes verblutenden palästinensischen Freiheitskämpfer? Welches Volk, welche Massen säumen kilometerweit den Weg des Trauerzuges eines Menschheitstraumes vom Frieden? […] NADINE HAGER, Görwikl

betr.: „Alle Welt gegen Scharon“, taz vom 11. 4. 02

„Friedens“-Truppen in Israel? Israel tut das Gleiche, was Amerika & Co in Afghanistan tun. Ob das richtig ist, darüber lässt sich wahrlich streiten.

Ich persönlich glaube, beides ist gleich falsch, auch wenn jeweils ernst zu nehmende Anlässe zugrunde liegen, deren Ursachen wiederum zu diskutieren wären. Aber dass die „zivilisierte“ Weltöffentlichkeit nun Israel verbieten will, was sie selbst gerade anderswo tut – und die Unterlassung auch noch militärisch zu erzwingen erwägt –, finde ich schon ein starkes Stück. Eine Hilflosigkeit, die angesichts einer desolaten weltpolitischen Situation verständlich ist, aber sicher nichts nützen wird.

ANNA MEYER, Hamburg

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.