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Das Ende einer „Revolution“

Venezuelas linksnationalistischer Präsident Hugo Chávez legt nach Massenprotesten und Militärintervention sein Amt nieder. Der Populist hatte die USA gegen sich aufgebracht und den Rückhalt in der Bevölkerung weitgehend verloren

von BERND PICKERT

Venezuelas Präsident Hugo Chávez ist aus dem Amt gedrängt. In der Nacht zum Freitag legte Chávez nach einer ultimativen Aufforderung der gesamten Armeeführung sein Amt nieder – er befindet sich jetzt in einer Kaserne in Gewahrsam. Vorausgegangen waren Massendemonstrationen der Opposition gegen den Präsidenten, die in Gewalt geendet hatten: Chávez-treue Einheiten hatten mit automatischen Waffen in die Menge geschossen, die in der Hauptstadt Caracas demonstrierte. 13 Menschen starben, 110 weitere wurden verletzt.

Präsident einer vom Militär eingesetzten Übergangsregierung ist Pedro Carmona, der Chef des venezolanischen Arbeitgeberverbandes Fedecámaras. Führende Militärs, die sich bereits in den vergangenen zwei Monaten für einen Rücktritt Chávez’ ausgesprochen hatten, hatten stets betont, ihnen gehe es nicht um eine Machtübernahme, sondern um Neuwahlen. Auch Carmona erklärte, Neuwahlen sollten so bald wie möglich die Demokratie im Land wiederherstellen. Er wollte noch gestern die Mitglieder seines Übergangskabinetts bekannt geben.

Die Massenproteste vom Donnerstag waren zunächst von den streikenden Arbeitern des staatlichen Erdölunternehmens PDVSA angeführt worden. Die Arbeiter waren Ende letzter Woche aus Solidarität mit den Managern des Unternehmens in den Streik getreten, nachdem Chávez versucht hatte, durch eine Auswechslung der Führungsriege das staatseigene, aber unabhängig agierende Unternehmen unter seine direkte Kontrolle zu bringen. Angeschlossen hatte sich alsbald die stärkste venezolanische Gewerkschaft CTV, die zum Generalstreik aufrief. Chef der CTV-Gewerkschaft ist Carlos Ortega, der sich als Kandidat der oppositionellen „Acción Democrática“ Ende letzten Jahres gegen den erklärten Willen Chávez’ als Vorsitzender durchgesetzt hatte und sofort auf Konfrontationskurs gegangen war.

Auch der Arbeitgeberverband hatte sich dem Streikaufruf zum Rücktritt des Präsidenten angeschlossen. Eine große Menge Demonstrationsteilnehmer, nach Augenzeugenberichten rund eine Million Menschen, befand sich am Donnerstag gegen 17 Uhr kurz vor ihrem Ziel, dem Präsidentenpalast Miraflores, als der Zug zum Stillstand kam. Mitglieder der so genannten Circulos Bolivarianos, einer schon vor Monaten von Chávez aufgebauten bewaffneten Schlägertruppe, begannen, scharf in die Menge zu schießen.

Die Militärführung gab dem Präsidenten die Schuld an den Todesopfern und forderte Chávez noch am Abend zum sofortigen Rücktritt auf. Stunden später legten dann zunächst der Finanz-, dann der Außenminister und schließlich Chávez selbst ihre Ämter nieder. Vorsorglich hatte das Militär schon den Flughafen gesperrt gehabt.

Der 47-jährige Chávez, ehemaliger Generalleutnant, der sich auch als Präsident gern in Uniform zeigte, war 1998 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt worden. Er hatte einen strikten Kampf gegen die Korruption angekündigt und Sozialreformen zugunsten der verarmten Bevölkerung, unter der er auch bis zum Schluss seine größte Machtbasis gefunden hatte. „Bolivarianische Revolution“ nannte er das, in Anspielung auf die Gedanken des lateinamerikanischen Unabhängigkeitshelden Simón Bolívar.

Durch außenpolitische Winkelzüge, insbesondere sein Engagement zur Wiederbelebung der Opec, seine guten Kontakte zu Kubas Regierungschef Fidel Castro und weiteren internationale Parias hatte sich Chávez den Zorn der Bush-Regierung zugezogen. Ungewöhnlich deutlich hatten die USA in den letzten Monaten gegen ihn Front gemacht.

Doch auch innerhalb der venezolanischen Bevölkerung hatte Chávez stark an Rückhalt verloren. Denn während er zwar die demokratischen Institutionen des Landes nach und nach entmachtete und einen dauernden Kampf gegen die – zumeist in oppositioneller Hand befindlichen – Medien führte, standen dieser autokratischen Attitüde kaum Erfolge gegenüber. Zum Konflikt mit der Oligarchie kam es im vergangenen Jahr, als sich Chávez um die Durchsetzung eines neuen Agrargesetzes bemühte, das den Großgrundbesitz eingeschränkt und staatliche Enteignungen ermöglicht hätte.

Der Konflikt mit den USA verschärfte sich durch geheime Kontakte der venezolanischen Regierung zur kolumbianischen Farc-Guerilla. Die gilt den USA als terroristische Organisation und wird durch den US-finanzierten Plan Colombia massiv bekämpft. Nicht nur deckte Anfang Februar ein Video auf, dass sich der damalige Chef des venezolanischen Geheimdienstes, ein treuer Chávez-Anhänger, heimlich mit der Guerillaführung in Kolumbien getroffen hatte. Zuvor war Ende Januar über kolumbianischem Luftraum eine Kleinflugzeug zur Landung gezwungen worden, das mit Waffen für die Guerilla beladen war – und aus Venezuela stammte.

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