Die Erotik des Sozialen

taz-Kongress zwischen Hoffnung, Widerstand und Pragmatismus  ■ Von Sandra Wilsdorf

Dass es Kürzungen geben würde, das hätten sie ja geahnt. „Aber in dieser Höhe, und vor allem mit dieser Begründung, davon hat sich wohl keine von uns ein Bild gemacht“, beschreibt Heike Peper den Schock der Hamburger Frauenprojekte über die Kürzungen des neuen Senats. Die Psychologin von der Frauenberatungsstelle BIFF Eimsbüttel saß für das Hamburger Frauenprojektetreffen auf dem Podium bei dem von mehr als 400 Menschen besuchten taz-Kongress in der Patriotischen Gesellschaft am Sonnabend.

Peper kann immer noch nicht verstehen, „warum sich ausgerechnet die damals noch einzige Frau des Senats für solch eine frauenfeindliche Politik nach vorne stellt und die auch noch begründet“. CDU-Senatorin Birgit Schnieber-Jastram mache Politik für die Bausparkassen-Familie und nehme einfach die Bandbreite der Lebensrealitäten von Frauen in Hamburg nicht zur Kenntnis.

Im Unterschied zur Verkehrspolitik war das Podium zur neuen hanseatischen Sozialpolitik bewusst nicht kontrovers besetzt. Denn weil völlig außer Frage steht, dass Frauen natürlich noch diskriminiert und insofern schützenswert und förderbedürftig sind, sollte es mehr um das „was nun?“ gehen. Eingeladen waren die, die den politischen Klimawechsel besonders zu spüren bekommen und direkt unter den Kürzungen leiden. Und sie schlugen ganz unterschiedliche Strategien im Umgang mit dem Streichkonzert vor.

Birgit Müller, Chefredakteurin von Hinz & Kunzt, befürwortet einen pragmatischen Ansatz. Um in der Innenstadt den Gegensatz zwischen Armut und Konsum zu überbrücken, „haben wir vorgeschlagen, dass Sozialhilfeempfänger eine Vermittlerrolle einnehmen, beispielsweise durch Kurierdienste oder Reinigungsarbeiten“. Der sozialpolitischen Opposition (SOPO) wirft sie vor, solche Vorschläge wie überhaupt das Thema des subjektiven Unsicherheitsgefühls nicht ernst zu nehmen, „die haben uns vorgeworfen, wir wollten, dass unsere Armen die Taschen der Reichen tragen.“

Dirk Hauer von der SOPO fordert, dass sich die jetzige parlamentarische und außerparlamentarische Opposition erst einmal auf Eckpunkte für eine soziale Gesellschaft einigen müssen. „Und da sind GAL und SPD in einer Bringeschuld.“ Denn die hätten durch ihre Kürzungen in den vergangenen Jahren den Grundstein für ein härteres Klima gelegt und dadurch „schwere Schuld auf ihre Schultern“ geladen. Trotzdem findet auch Hauer, dass die Politik des Schwarz-Schill-Senats eine ganz neue Qualität habe: „Da werden ganz offen sozialpolitische Inhalte zerschlagen.“ Wer beispielsweise bei interkulturellen Begegnungsstätten kürze, erteile der Integration eine klare Absage.

Die Journalistin, Schriftstellerin und ehemalige Sozialarbeiterin Petra Oelker sieht das ganz nüchtern: „Was hier passiert, entsetzt uns doch nur deshalb so sehr, weil es im liberalen Hamburg geschieht. Dabei schließt uns diese ideologische Wende nur an den Rest der Repub-lik an.“ Sie schlägt vor, dass man den Menschen klar machen muss, dass die Kürzungen ganz und gar kontraproduktiv für die soziale Sicherheit sind. „Wir wissen ja, wie viele Entwurzelte es in dieser Stadt gibt und wie hoch die Zahl der Kinder und Jugendlichen unter den Sozialhilfeempfängern ist.“

Bei allem Pessimismus waberte aber auch ein Hauch Aufbruchstimmung durch den vollen Saal: Hauer hofft, dass die Großdemo gegen Sozialabbau am morgigen Nachmittag ein deutliches Zeichen des Widerstands setzt. Und Heike Pepers Erkenntnis: „Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen. Und wir müssen in Zukunft noch deutlicher machen, was die Kürzungen fachlich bedeuten.“

Und obwohl „sozial zurzeit nicht sexy ist“, wie Petra Oelker befand, wurde dann doch darüber debattiert. Heike Peper setzt auf Gegenentwürfe zum momentan herrschenden Geist: „Wir haben die Chance, uns mit anderen Werten zu profilieren, wir können Debatten anzetteln.“ Und eine Zuschauerin brachte es auf den Gegenpunkt: „Sozial ist sexy, denn ich kann nur mit jemandem ins Bett gehen, der zu mir gut ist und zu anderen.“