Unter Badekappen

Toupetanprobe in der Männerkabine. Eine Expedition ins Reich der Falschhaare

Die meisten Toupetträger vermeiden Turmsprünge und längere Tauchabenteuer

„Ich war immer ein großer Paul-Simon-Fan“, sagte ein Kollege, als es um das Thema „Haare“ ging, „bis ich mal ein Bild von ihm sah, das ganz klar zeigte, dass er ein Toupet trägt, ab da hatte ich meinen Respekt verloren.“

Das Thema „Haare“ kam von mir, denn kurz zuvor hatte ich ein aufregendes Erlebnis: Ich, die ich selbst auf dem Kopf aussehe wie ein Yeti, war mit einem charmanten Glatzkopf über den weltberühmten Berliner Kurfürstendamm gewandert. Dort gibt es einen kleinen Laden, der Toupets und Perücken in seiner Auslage anbietet. Fasziniert blieben wir stehen. „Traust du dich da hinein?“, fragten wir einander und machten uns Mut: „Wenn du dich traust, traue ich mich auch.“ Wir gingen dann hinein – und das, obwohl mein glatzköpfiger Begleiter zuvor durch die Scheibe nur entsetzliche Hausfrauen erspäht hatte, die alle Perücken kaufen wollten, die Hölle halt.

Eine verständnisvolle Betreuerin fragte nach unserem Begehr, und mein Begleiter sagte mit fester Stmme: „Ich hätte sehr gern Haare, haben Sie auch Männerhaare?“ Dabei deutete er auf seine Glatze, und die Betreuerin verstand sofort. Sie führte uns in eine kleine Kabine, die mit beunruhigenden Vorhängen umgeben war, und drückte meinen Begleiter in einen Stuhl. Es war eindeutig die „Männerkabine“, denn in einem kleinen Regal prangten auf Plastik-Männerköpfen verschiedene Haarbüschel, die alle sehr komisch aussahen. Die ganze Atmosphäre war intimer als beim Frauenarzt, ich hatte beinahe das Gefühl, als dürfte ich nicht dort sein, als dürfte ich nicht zusehen, als dürfte ich nicht zuhören, es war ein Gefühl, als hätte ich ein Gebiet betreten, das zu betreten nur Auserwählten vorbehalten ist.

Mit gezieltem Griff wählte die Betreuerin ein graumausiges, ungefähr zehn Quadratzentimeter großes Büschel aus und pappte es meinem Glatzkopf auf die blanke Kopfhaut. Das Ergebnis war verblüffend! Der Mann sah plötzlich komplett anders aus, nicht schöner, aber anders. Er fragte die Betreuerin: „Haben Sie vielleicht auch etwas, bei dem auf der Straße dann nicht alle mit dem Finger auf mich zeigen und tuscheln: Guck mal dort, der Mann mit dem Toupet?“ Die Betreuerin lächelte milde und schwor Stein und Bein, dass, wenn so ein Teil nur mal richtig angepasst wäre, man definitiv nicht mehr sehen könne, dass es nicht gottgegeben sei. „Außer natürlich“, sagte sie zu mir, „außer natürlich, man klebt mit der Nase fast am Ansatz, so wie Sie gerade.“ Und damit hatte sie vollkommen Recht, ich untersuchte nämlich gerade die Stirn des Patienten, besser gesagt, die Webstruktur auf der Stirn des Patienten. Der Patient sagte: „Es rutscht.“ Man müsse das natürlich festmachen, sagte die Betreuerin und führte uns gleich mehrere Möglichkeiten vor.

Möglichkeit Nummer eins: Klebeband. Gewöhnliches Klebeband. Aber das funktioniere am besten bei absoluten Vollglatzen. Mein Begleiter hatte aber noch geringe Resthaarbestände, und daher kam Möglichkeit Nummer zwei in Betracht: Klipps. Die Betreuerin legte ihm ein anderes Teil auf den Kopf, drückte es an drei Ecken fest, der Mann zuckte ein bisschen, die Betreuerin rüttelte am Schopf und sagte: „Sitzt bombenfest!“ Ob man damit auch schwimmen gehen könne, fragte er. „Nun ja, die meisten Toupetträger vermeiden Turmsprünge und längere Tauchabenteuer“, antwortete die Betreuerin, und ich bemerkte, wie sie innerlich breit grinste, denn sie konnte sich einen belustigten Seitenblick auf mich nicht verkneifen, da musste ich auch ein bisschen grinsen. Ob man es denn wenigsten im Bett aufbehalten könne, fragte mein Begleiter und wurde darüber belehrt, das man es im Bett besser abnähme, denn die teueren Haarteile würden sich ja auch abnutzen. Es sei nämlich so: Kopfhaut sondert Talg ab, von Mann zu Mann mehr oder weniger, und Kopfhauttalg zerfrisst mit der Zeit das Toupet von unten. So ein Toupet, so ein ganz kleines nur, koste mindestens 700 Euro, deshalb sollte man es im Bett besser abnehmen.

Jetzt wollte der charmante Glatzkopf aber keine halben Sachen mehr und deutete auf eine silberne Sky-Dumont-Frisur: „Kann ich die mal?“ Die Betreuerin zog ihm Sky Dumont wie eine Bademütze über den Kopf und flötete: „Mein Gott, Sie sehen ja mindestens zehn Jahre jünger aus!“ Das stimmte! „Gibt es die auch in Schwarz oder Kastanienbraun?“ Natürlich könne man so eine Vollhaarperücke in jeder Farbe anfertigen lassen, erfuhren wir, aber das sähe dann eher unecht aus, ab einem gewissen Alter vielleicht gar etwas albern. Außerdem habe die Betreuerin jetzt einen Terminkunden, sie berate ihre Kunden nämlich auch mit dem kompletten Service: „Resthaare schneiden, waschen, legen und an das Toupet angleichen“, und der Kunde warte bereits hinter dem Vorhang.

Wir dankten und verabschiedeten uns. Und warfen einen winzigen Blick auf den Terminkunden. Der hatte eindeutig ein Toupet auf dem Kopf. Vor dem hatten wir sofort den Respekt verloren. CORINNA STEGEMANN