Gar nicht schlampig

Telekom-Profi Steffen Wesemann musste erst umdenken, bevor Erfolge kamen. So wie Rang zwei bei Paris–Roubaix

ROUBAIX taz ■ Walter Godefroot gehört nicht zu den Männern, die leicht außer sich geraten. Seit 40 Jahren ist er Teil des Radzirkus, zunächst als Profi, in den letzten Jahren schließlich als Sportlicher Leiter beim Team Telekom. So einer hat schon einiges erlebt. Dass Steffen Wesemanns zweiter Platz bei Paris–Roubaix dennoch einen Kloß in Godefroots Hals zu setzen vermochte, zeigt nur, wie sehr Wesemann dem Telekom-Chef am Herzen liegt.

„Ich wusste seit acht Jahren, dass er das kann“, sagte Godefroot gerührt im Velodrom von Roubaix. Es waren acht Jahre, in denen er nie aufgehört hatte, an Wesemann zu glauben, obwohl er in dieser Zeit manchmal der Einzige war, der das noch tat. Als Wesemann zum Team Telekom kam, hatte er sich als Friedensfahrt-Sieger bereits beachtliche Lorbeeren verdient. Godefroot, der als Fahrer stets ein Spezialist für die Klassiker des Nordens war, sah auch in Wesemann das große Talent für diese Rennen. Ein Talent, das auszureizen jedoch einiges an Arbeit bedurfte.

Die zu leisten hatte Wesemann offenbar lange Zeit keine Lust. Er verrichtete brav seinen Dienst für die Mannschaft, genoss aber ansonsten nach Gusto das Leben. „Er war sein Geld wert, aber nicht mehr“, sagt Godefroot heute. Dass Wesemann seine Anlagen nicht nutzen wollte, tat dem Telekom-Chef weh. In der geduldigen Hoffnung auf eine Wandlung nahm er Wesemann dennoch in Schutz, als bei Telekom vor rund drei Jahren Stimmen laut wurden, die Wesemanns Rauswurf forderten.

1999, mit 28 Jahren, fasste dieser Wesemann dann endlich den Entschluss, seinen Beruf ernst zu nehmen: „Ich war Vater geworden und dachte, wenn ich das nicht richtig mache, kann ich das Radfahren meiner Familie gegenüber nicht mehr rechtfertigen.“ Er rief seinen Jugendtrainer aus Frankfurt an der Oder, Thomas Schediwie, an, und fragte, ob er ihm helfen wolle, ganz nach vorne zu kommen. Fortan arbeitete er mit Schediwie diszipliniert daran, der Klassiker-Jäger bei Telekom zu werden.

Die Erfolge kamen schnell: 2000 und 2001 war er bei der Flandern-Rundfahrt sowie bei Paris–Roubaix im Finale unter den stärksten Fahrern, zu einem Podiumsplatz hatte ihm nur die taktische Raffinesse gefehlt. Und die Geduld: „Ich wollte den Erfolg in den vergangenen zwei Jahren mit der Brechstange“, blickt Wesemann zurück. Beim Rennen in Roubaix in diesem Jahr bewies er hingegen die Beharrlichkeit, die ein Klassiker-Fahrer braucht: Trotz mehrerer Stürze und technischer Defekte behielt er die Nerven und tauchte kurz vor dem Ziel wie aus dem Nichts auf, um auf den zweiten Platz zu fahren, geschlagen nur vom Belgier Johan Museeuw.

Dass er nun für die Klassiker die nötige Geduld aufbringt, habe er, so Wesemann, wie so vieles in seiner Laufbahn, Walter Godefroot zu verdanken. „Alles was ich kann und bin, verdanke ich Walter. Ich lerne von ihm – bis heute.“ Und wahrscheinlich noch ein bisschen länger: Wesemann: „Ich bin erst 31, das ist für einen Klassiker-Fahrer doch kein Alter.“

Das ist es in der Tat nicht. Die drei bisherigen Klassiker dieses Jahres wurden sämtlich von Männern gewonnen, die deutlich älter sind als Wesemann: Mario Cipollini gewann mit 37 Mailand–San Remo, Andrea Tafi mit 36 die Flandern-Rundfahrt, und Johan Museeuw im gleichen Alter nun Paris–Roubaix. Ob das einTrend sei, wurde Museeuw, der Sieger vom Wochenende, schon vor Paris–Roubaix gefragt. „Nein“, antwortete er, „es setzen sich nicht die Alten durch, sondern die großen Champions. Sprach’s – und gewann das Rennen zum dritten Mal im Stile eines ganz Großen, mit einer 40 Kilometer langen Soloattacke. Davor konnte sich auch Steffen Wesemann nur verneigen: „Hinter Museeuw Zweiter zu werden ist keine Niederlage. Im Gegenteil: Das schmeckt nach Sieg.“ Der Geschmack hat Wesemann gefallen. SEBASTIAN MOLL