Richter mit vollen Hosen

Heute beginnt der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Terrororganisation al-Qaida. Einzigartige Sicherheitsvorkehrungen sollen Verfahrensbeteiligte vor Anschlägen schützen

aus Frankfurt KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Einigen Richtern im Justizviertel am Rande der Frankfurter City ist schon im Vorfeld des heute beginnenden Prozesses gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Terrororganisation al-Qaida das Herz in die Hose gerutscht. Der renommierte Richter Heinrich Gehrke etwa, der schon Mitglieder der RAF verurteilte, malte im Fernsehen Horrorbilder: Ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen könnte von Sympathisanten der Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude zur Explosion gebracht werden, befürchtete er. Auch Personalräte bei der Frankfurter Justiz sprachen von „Massenverbrechen“, die von den Anhängern der „weltweit gefährlichsten Verbrechergruppe“ des Ussama Bin Laden verübt werden könnten.

Alles Zetern half der Frankfurter Juristengemeinde nicht: Der Bundesgerichtshof lehnte ab, den Prozess in den Hochsicherheitstrakt der JVA in Stammheim zu verlegen. Die fünf wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagten Männer, von denen vier beschuldigt werden, einen Sprengstoffanschlag auf den Weihnachtsmarkt im französischen Straßburg vorbereitet zu haben, wurden nun einmal in Frankfurt verhaftet. Und deshalb wird ab heute 10 Uhr auch vor dem Frankfurter Oberlandesgericht verhandelt: unter den umfangreichsten Sicherheitsvorkehrungen in der Geschichte der bundesdeutschen Justiz.

Tieflader brachten tonnenschwere Betonteile, mit denen alle Parkplätze in der Nähe des Gerichts in der Hammelgasse abgesperrt wurden. Schwer bewaffnete Polizeikontingente bewachen das gesamte Areal. Und drinnen walten bewaffnete Beamte der Justizverwaltung und private Schutzdienste. Rund 600.000 Euro kosten die „sicherheitserhöhenden Maßnahmen“ die Steuerzahler. Die Polizei sei auf alle „Eventualitäten“ gut vorbereitet, hieß es gestern im Präsidium. Dort hatte man sich über die „Richter mit den vollen Hosen“, wie ein Beamter despektierlich anmerkte, offenbar ordentlich geärgert. „Was soll denn die Bevölkerung denken, wenn jetzt schon die Justiz einen solchen Aufstand macht“, wird ein „ranghoher hessischer Polizist“ zitiert.

Wie gestern bekannt wurde, will einer der Angeklagten umfassend aussagen. Noch kurz vor Prozessbeginn hatten die Anwälte der Algerier erklärt, dass ihre Mandanten ihr Schweigen zu den Tatvorwürfen auch vor Gericht nicht brechen würden. Ihnen wird in der Anklageschrift vorgeworfen, sie hätten am 2. Weihnachtsfeiertag des Jahres 2000 auf dem Weihnachtsmarkt in Straßburg eine Nagelbombe zur Explosion bringen wollen. Nur der rasche Zugriff durch eine Einheit der GSG 9 habe den Terroranschlag verhindern können, so die Bundesanwaltschaft. In der Wohnung im Frankfurter Stadtteil Eckenheim, in der vier der mutmaßlichen Terroristen festgenommen wurden, fand die Polizei neben falschen Pässen und Schusswaffen auch Materialien zum Bau des Sprengsatzes: Chemikalien in großen Mengen, Nägel, zwei Sprengzünder, eine Bombenbauanleitung und Schaltpläne für die Funksteuerung. Die Zelle in Frankfurt habe Kontakte zu Zellen von al-Qaida in London und in Mailand unterhalten, so die Bundesanwaltschaft weiter. In Mailand wurden bereits vier Tunesier wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung al-Qaida zu Haftstrafen von bis zu fünf Jahren verurteilt.

Der Bundesanwaltschaft liegt auch ein Video vor, das in der Wohnung der Algerier sichergestellt wurde. Darauf zu sehen sind Aufnahmen vom Weihnachtsmarkt in Straßburg und vom Münster dort – alles untermalt von Flüchen wie: „Fahrt zur Hölle!“ Oder: „Das ist die Kirche der Feinde Gottes!“ Das Fernsehmagazin „Report“ aus Mainz vermeldete gestern vorab, dass das eigentliche Ziel des Bombenanschlags die Synagoge in Straßburg gewesen sein soll. Report will auch herausgefunden haben, dass die potenziellen Attentäter in einem Ausbildungslager von Bin Laden in Afghanistan „geschult“ worden seien.