Parteien machen sich lieb Kind

Bei SPD und Grünen ist die Familienpolitik jetzt Männersache. Kanzler Schröder verspricht vier Milliarden Euro, sein Kollege Kuhn einen Kindergipfel

BERLIN taz ■ Die Kinderpolitik avanciert zum Lieblingsthema der Parteien im Bundestagswahlkampf. Dabei stehen sich nicht nur Opposition und Koalition gegenüber. Gestern haben SPD und Grüne eine regierungsinterne Konkurrenz um den Titel der kinderfreundlichsten Partei eröffnet. Sowohl der grüne Parteirat als auch das Präsidium der SPD berieten am Montag Maßnahmen zur Förderung von Familien mit Kindern.

Anders als die Union unter Kanzlerkandidat Edmund Stoiber setzen die beiden Regierungsparteien vorrangig auf eine Verbesserung der Infrastruktur bei der Kinderbetreuung. Die Grünen wollen dafür in der nächsten Legislaturperiode fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellen, die SPD vier Milliarden. Die Union konzentriert sich stattdessen auf ein individuell ausgezahltes Familiengeld, dessen Höhe noch offen ist.

Bei beiden Koalitionspartnern nehmen sich inzwischen die Parteivorsitzenden des Themas an: Gerhard Schröder versprach gestern für das SPD-Wahlprogramm vier Milliarden Euro zum Ausbau der Ganztagsschulen. Am Donnerstag will der Kanzler eine Regierungserklärung zur Familienpolitik abgeben. Grünen-Chef Fritz Kuhn kündigte an, im Wahlkampfteam persönlich den Bereich Kinderpolitik zu übernehmen, und prophezeite, das Thema werde zu einer der zentralen Auseinandersetzungen des Wahlkampfs führen. Unionskanzlerkandidat Stoiber halte an einem traditionellen Familienbild fest. Insbesondere die Betreuung für die unter Dreijährigen würde „aus ideologischen Gründen“ vernachlässigt, entsprechend lägen die unionsregierten Länder Bayern und Baden-Württemberg im Bundesvergleich auf den hintersten Plätzen.

Auch von den Sozialdemokraten grenzte der Grünen-Chef seine Partei ab: „Wir halten nichts vom Konzept der Betriebskindergärten, das der Kanzler in den Mittelpunkt gestellt hat.“ Die Erfahrung zeige, dass die Eltern betriebliche Angebote häufig nicht annähmen.

Symptomatisch für die neue Bedeutung der Familienpolitik sind auch die großen Vokabeln, mit denen die Parteien neuerdings hantieren. So schlugen die Grünen gestern einen „Kindergipfel“ vor – allerdings erst für die Zeit nach der Wahl. „Bund, Länder, Gemeinden, Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen an einen Tisch gebracht werden“, sagte Kuhn. Da Ganztagsschulen in die Kulturhoheit der Länder fallen, ist ohne ihre Mitwirkung keine Lösung möglich.

Die SPD hat dafür bereits ein Konzept in der Schublade. Der bildungspolitische Teil ihres Wahlprogramms, dessen Entwurf gestern schon unter Journalisten kursierte, sieht vor, dass jede vierte Schule in Deutschland zur Ganztagsschule ausgebaut werden soll – vor allem für Grundschüler und Jugendliche bis zur zehnten Schulklasse. Für die Bildungsinitiative sollen vor allem Zinsersparnisse aus dem UMTS-Lizenzverkauf eingesetzt werden. An der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für die Schulpolitik werde der Bund nicht rütteln, sagte Schröder: „Wir wollen keine Verfassungsdiskussion führen, sondern das Betreuungsangebot verbessern.“

Das Konzept für die Ganztagsschulinitiative stammt von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD). Die Leistungsmängel der deutschen Schüler bei Pisa und die „soziale Selektivität“ des deutschen Bildungssystems erforderten eine „nationale Antwort“, heißt es darin. Über den Einsatz der vier Milliarden Mark soll ein befristetes Bund-Länder-Abkommen abgeschlossen werden. Der Bund bietet dabei vor allem finanzielle Unterstützung bei Modernisierung und -ausbau der Schulen an.

Trotz ihrer demonstrativen Hinwendung zu Familien mit Kindern haben SPD und Grüne noch keine Einigung über eine steuerliche Entlastung von allein Erziehenden erzielt. Der kleine Koalitionspartner hatte als Teil eines Sofortprogramms zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gefordert, die steuerliche Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuung zu verbessern, die SPD reagierte ablehnend.

Kuhn kündigte weitere Gespräche für diese Woche an: „Es hat etwas lang gedauert, ist aber nicht vergessen.“

Das zehnseitige kinderpolitische Konzept, das der grüne Parteirat gestern verabschiedete, sieht außerdem den Einstieg in eine Kindergrundsicherung vor, die die Grünen schon lange fordern. In einem ersten Schritt sollen sozial schwache Familien bis zu 100 Euro pro Kind und Monat zusätzlich erhalten. Die Gesamtkosten liegen angeblich bei 2,5 Milliarden Euro, die über eine Abschmelzung des Ehegattensplittings aufgebracht werden sollen.

Das Konzept definiert Kinderpolitik als Querschnittsaufgabe, zu der auch die Themen Ökologie, Ernährung und Verkehr gehören. PATRIK SCHWARZ