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Die „Alles wird geil“-Tour

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aus Jena BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

„Basti, Basti!“, ruft eine Gruppe von etwa 20 Punks. „Wir wollen Basti!“, brüllen sie immer wieder über den Platz und reißen die Arme in die Luft. Ihre zerfetzten schwarzen Lederjacken mit Aufnähern wie „Deutschland verrecke“ und ihre grün, gelb, blau und rot gefärbten Haare wippen dazu im Takt. Einen schüchternen Hauptmann der Bundeswehr, auf dessen Uniform der Name Sebastian prangt, haben sie zu ihrem Star erkoren.

„Basti“ arbeitet bei Radio Andernach, dem Bundeswehrradio, das normalerweise für deutsche Soldaten in Bosnien und Kosovo sendet und auch Grüße von Daheimgebliebenen schickt. Doch seit Mitte März tun einige der Moderatoren Dienst an der Heimatfront. Die Bundeswehr versteckt sich nicht mehr hinter großformatigen Anzeigen und Fernsehspots, um Nachwuchs zu rekrutieren. Sie reist kreuz und quer durchs Land, um sich in Schulen und auf öffentlichen Plätzen als junger und dynamischer Arbeitgeber zu präsentieren. Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren sollen von der Attraktivität des Ausbildungs- und Arbeitsplatzes Bundeswehr überzeugt werden (siehe Kasten).

So wie an diesem Tag auf dem Universitätsvorplatz in Jena, der fünften Station der Tour. Die Marine führt ein Triebwerk einer Fregatte vor, die Luftwaffe ein Triebwerk eines Tornados, der Sanitätsdienst zeigt einen Rettungswagen. Wehrdienstberater locken mit „Angeboten nach Maß“, erhöhten Einstiegsgehältern, verkürzten Beförderungszeiten, „wunsch- und arbeitsmarktorientierten Übergängen in den zivilen Abschnitt des weiteren Erwerbslebens“. Ein großer Lastwagen wird zur Bühne mit Discolichtern, Tombola und Nebelmaschine umfunktioniert. Eine junge Moderatorin soll Jugendliche anlocken. Unbekannte Rockbands treten mit Titeln wie „I’ll get you“ auf, eine Band heißt AWG – „Alles wird geil“.

Die Punks amüsieren sich köstlich – auf Kosten der Bundeswehr. Dutzende von Feldjägern, die zur Verstärkung rangeholt wurden, beobachten mit reglosen Gesichtern die Bunthaarigen, die bei der Nennung eines Quizgewinners aus vereinten Kräften rufen „Ich bin der Olli!“, „Ich bin der Olli!“ Die Moderatorin und „Basti“ schalten auf Durchzug.

Für Roland Obersteg, Fregattenkapitän und Referent für „Personalmarketing“ im Verteidigungsministerium, sind die Punks kein wirkliches Problem. In Dresden hatte er mit „Linksautonomen“ zu tun, die „Soldaten sind Mörder“ riefen, in Magdeburg schreckte „schweinekaltes“ Wetter die Leute ab. Der 41-Jährige gibt sich tolerant. „Wir sind Teil der Gesellschaft und stellen uns der Kritik, solange sie nicht gewalttätig ist.“

Das Rekrutierungsproblem

Obersteg trägt einen Schnauzbart, eine runde Sonnenbrille und eine dunkelblaue Uniform mit Goldstreifen auf den Schultern. „Meine Frau sagt, die Uniform macht mich schlank“, sagt Obersteg. Der Fregattenkapitän ist für die Tour verantwortlich. Früher habe die Bundeswehr 40 bis 45 Prozent der Zeit- und Berufssoldaten von den Wehrpflichtigen rekrutiert, erzählt er. Jetzt seien es nur noch 20 Prozent. „Wir müssen uns wirklich Gedanken machen, um den Nachwuchs sicherzustellen.“

Obersteg will das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit verbessern: „Hierarchisch, unmodern, da wird nur gesoffen und gegammelt“ – so stellten sich viele die Truppe vor. Sicher werde „in Teilbereichen gesoffen“ und „im Einzelfall gegammelt“. Um aber „leistungsorientierte Jugendliche“ zu begeistern, brauche die Bundeswehr „eine komplett neue Orientierung“.

Auch Obersteg glaubte, als er 1980 zum Bund ging, dass er dort „kaum Möglichkeiten zur Verwirklichung“ habe. Aber dann ging alles „ganz einfach“: Nach dem Wehrdienst wurde er als Offiziersanwärter übernommen und studierte an der Bundeswehruniversität in München Luft- und Raumfahrttechnik. Er hatte Essen und Unterkunft frei und bereits als 20-jähriger Leutnant 2.500 Mark netto „zum auf den Kopf hauen“. Dann ging es Schlag auf Schlag weiter: technischer Offizier, persönlicher Referent bei einem Nato-General, Tutor an der Münchner Bundeswehruni, Staffelchef, Vizekommandeur in einem Marinefliegergeschwader, Admiralsstabsausbildung, Personalstabsoffizier. Seit einem Jahr ist er Referent im Verteidigungsministerium.

Auslandseinsätze kennt der Vater von drei Mädchen im Alter von sechs Monaten, 9 und 13 Jahren, nur vom Hörensagen. Aber „natürlich“ würde er gehen, wenn er müsste, sagt er pflichtbewusst. Denn: „Jeder, der jetzt zur Bundeswehr geht, muss mit Auslandseinsätzen rechnen.“ Auch im Nahen Osten könne Deutschland „bei Friedensmissionen eine wichtige Rolle spielen“. In einem Halbsatz erwähnt er „eine gewisse Gefährdung“. Aber das sei „kein Abschreckungsgrund“, ist Obersteg überzeugt. „Optimale Vorbereitung“ und „optimale Absicherung“ hielten das Risiko „gering“. Zudem lernten die Soldaten im Ausland Dinge wie „in keinem anderen Beruf“: „Persönliche Bewährung in Stresssituationen“, „Formung der Persönlichkeit“, „Teamgeist“.

Stefanie Lämmer kommt aus einer Bundeswehrfamilie, sie ist jung, hübsch und intelligent, sie hat sich für zwölf Jahre verpflichtet und sie kann es kaum erwarten, aus ihrer Kaserne in Mittelfranken rauszukommen. Die 22-jährige Rettungssanitäterin im Rang eines Feldwebels hatte sich wahlweise für Kuwait, Kosovo oder Afghanistan beworben und geht im November für ein halbes Jahr nach Prizren. „Genau da wollte ich hin.“ Aber nicht, weil dort schon so viele sind, sondern weil dort auch was passieren könnte. Was sie erwartet, ist ihr nicht ganz klar. „Wir fahren Patrouille, was weiß ich.“ Was sie dort finden will, weiß sie genau. „Neue Herausforderungen.“ Nach viereinhalb Jahren in ihrer Luftwaffen-Sanitäts-Staffel langweilt sie sich manchmal. „Ich brauche einen Grund, warum ich die Uniform trage.“

Sie macht kein Geheimnis daraus, dass finanzielle Gründe und Absicherung bei ihrer Entscheidung für die Bundeswehr eine Rolle spielen. Eine Ausbildung, die auch im zivilen Leben anerkannt wird, ein unkündbares Arbeitsverhältnis, kostenloser Lkw-Führerschein, Englisch- und Rhetorik-Kurs, Studienmöglichkeiten mit zum Teil vollen Bezügen. „Ich wollte schon immer was vom Leben haben“, sagt sie selbstbewusst. Dazu gehören vier Urlaube in Thailand. „Mit dem Rucksack“, ist ihr wichtig zu betonen. Mit frühestens 25 Jahren könnte sich Stefanie Lämmer als Berufssoldat bewerben. „Die Möglichkeit steht aus“, sagt sie. Aber, fügt sie hinzu und verdreht ihre blauen Augen: „Da müsste sich meine Tätigkeit ändern.“

Schon zweimal hat sich René Neumann als Berufssoldat beworben. Mit Hinweis auf die „Bestenauswahl“ wurde der gelernte Konditor aus Lübeck, der seit neun Jahren bei den Feldjägern ist und sich für zwölf Jahre verpflichtet hat, abgelehnt. Um gleich beim ersten Anlauf genommen zu werden, müsse man „ein Überflieger“ sein, sagt der Mann mit den stoppeligen Haaren. Bei der zweiten Bewerbung hatte sich der 27-Jährige zwar „mehr ausgerechnet“. Trotzdem will er es ein drittes Mal versuchen. Sollte er dann wieder nicht als „BS“, als Berufssoldat, genommen werden, würde er es sein lassen, obwohl sich jeder fünfmal bewerben kann. Aber das hat er nicht vor. Mit seinen Erfahrungen als Personenschützer für „militärische Vips“ im Kosovo kann er sich vorstellen, nach seiner Dienstzeit bei einer privaten Sicherheitsfirma einzusteigen.

Kritik, Skepsis, Ekel

Auf der Bühne steht die Liveschaltung zu Radio Rajlovac in Bosnien. Etwa 200 Personen hören zu, wie eine Stimme aus dem Äther von einer „latenten Gefahr“ spricht und dass die Deutschen „gut angesehen“ seien. Sebastian, Student der Wirtschaftsinformatik, schaut skeptisch. „Das ist beängstigend“, sagt der 21-Jährige, dessen Gesicht ein blonder Flaumbart ziert, über das Bundeswehrprogramm. Er hat den Wehrdienst verweigert und nennt die Bundeswehr „in der jetzigen Form ein Auslaufmodell“. Der Wehrdienst müsse verkürzt und eine Berufsarmee aufgebaut werden. „Aber“, so ergänzt er, „man muss aufpassen, dass man nicht einen Staat im Staat schafft.“ Eine Frau, die sich das Bühnenspektakel aus einiger Entfernung anschaut, ist richtig sauer. „Die sollen sich um Berufe kümmern, die am Aussterben sind“, schimpft sie. „Es gibt nur noch einen einzigen Schuster in Jena!“

Plötzlich hängt ein weißes Laken an einem Balkon der Universität. „Soldaten sind Mörder.“ Kaum jemand bemerkt es. Nach zehn Minuten ist es weg.

Das Laken gehört zu Marias „Standardausrüstung“, wie sie sagt. Die 19-jährige Studentin mit den leicht verfilzten, blonden Haaren und dem roten Tuch um den Hals ist begeistert, dass ihre Aktion geglückt ist. „Das war cool“, erklärt sie und strahlt übers ganze Gesicht. „Die Zivis wollten nicht mal meine Personalien“, sagt sie. Darüber, dass die Bundeswehr ihre Aktion so leicht beenden konnte, hat sie sich schon gewundert. Auch darüber, dass sie ihre einhundert Flugblätter mit Schwarzweißfotos von Kriegsverstümmelungen nicht verteilen durfte. „Ich hörte nur immer wieder, hier hat die Bundeswehr gezahlt.“ Daher habe sie das Hausrecht. Maria hatte ihr Laken bei einem öffentlichen Gelöbnis im vergangenen Jahr ebenso dabei wie Stinkbomben und ein Gedicht von Michael Ende. Was sie von der Bundeswehr hält, sagt sie mit wenigen Worten. „Ich habe Ekel vor so was.“

790.000 Euro lässt sich die Bundeswehr die Informationstour kosten. Fregattenkapitän Obersteg macht eine schlichte Rechnung auf. Er geht davon aus, dass in jeder Stadt 500 Informationsgespräche geführt werden – 60 Prozent in Schulen, der Rest auf öffentlichen Plätzen – und dass davon 20 Prozent Bewerber übrig bleiben. „Das sind 2.400 tatsächliche Bewerber“, sagt er erfreut. Teilt er die Kosten der Tour durch die anvisierte Bewerberzahl, kommt er auf einen „Kontaktpreis“ von 300 Euro. „Spottbillig“, sagt der Fregattenkapätin. Und um das angepeilte neue Image der Bundeswehr zu untersteichen, fügt er jovial hinzu: „Wer sagt denn, dass wir nicht auch Punker überzeugen können.“

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