Sprachlos im Rohbau

■ „Cliquen“: Innerhalb einer Woche entwickelten 52 Jugendliche unter Anleitung von Profis einen Theaterabend im Moks / Das Problemtheater der 70er ist vorbei – die 13- bis 22-Jährigen stehen auf abstraktes Körpertheater

Kein Theater ohne Kostüme. Man sieht's nicht gleich, aber die Kleidung der 52 jugendlichen DarstellerInnen folgt einem bestimmten Kleidungscode. Danach lassen sich fünf Gruppen ausmachen, fünf „Cliquen“, die sich über bestimmte Kleidungsstücke definieren. Zum Beispiel die Trainingsjacken-Gruppe: Jeder trägt eine, und zwar der eigenen Individualität wegen eine aus dem eigenen Kleiderschrank. Oder Halstücher, irgendwo am Körper angebracht. Oder T-Shirts mit Aufdruck.

Jawoll, denkt sich der erwachsene Zuschauer, T-Shirts mit Aufdruck, die drücken mehr aus als nur Zusammengehörigkeit: Sie sind lesbar als die Etiketten einer Generation. Die Generation der 13 bis 22-Jährigen teilt uns mit: „Highway to Hell“. Das hatten wir eigentlich schon vor über 20 Jahren. „Elvis 1970“. Das hatten wir schon vor über 30 Jahren. Und „Go your own way“. Das hatten wir von der Idee her schon vor über 200 Jahren, bei Goethes Archetyp-Jugendlichem Werther.

Auf den ersten Blick also nichts Neues, was die Jugendlichen da auf die Bühne bringen. Fehlt nur noch, dass sie jetzt unter pädagogisch korrekter Anleitung kritisch bewegtes Problemtheater machen. Wie in den 70ern.

Aber es kommt anders: Die Jugendlichen aus Bremen und umzu zeigen atmosphärisches Körpertheater, das ganz auf Abstraktion und Atmosphäre setzt. Einen eindeutigen Konflikt plus Lösungsvorschlag gibt es nicht. Szenisch umgesetzt werden vielmehr die verschiedenen Aspekte der Clique, das Dazugehören und Ausgeschlossenwerden, die Ideen von Verschwörung, Solidarität und Abgrenzung. Das alles im weitgehend leeren Raum – das Bühnenbild beschränkt sich auf eine Wand, die mal einen Rohbau, eine Geisterstadt oder ein Hochhaus vertritt.

„Cliquen“ entstand auf der Grundlage von Edward-Bond-Texten, Fassbinders „Katzelmacher“ und den szenischen Vorschlägen der Jugendlichen. Eine ganze Os-terferien-Woche hatten sie täglich acht Stunden unter der Leitung von Profis des Moks und des Bremer Theaters an den Szenen gearbeitet. „Sehr konzentriert und immer auf ein Ergebnis hin“, so Spielleiter Klaus Schumacher. „Der Theaterabend setzt sich dann aus den Ergebnissen der Einzelgruppen zusammen.“

Und das Ganze ist am Ende in seiner Abstraktion recht anspruchsvoll, ist ein Versuch, die ästhetischen Ausdrucksmittel der Jugendlichen über das Sprechtheater hinaus zu erweitern. „Es gibt dabei auch für uns immer wieder Entdeckungen, wir lernen die Jugendlichen kennen und nehmen sie ernst“, erzählt Schumacher. „Das ist für mich das Interessante: Dass sie von sich erzählen. Toll ist es dann, wenn es stimmig ist. Wenn das, was jemand zeigt, mit seiner Person überein-stimmt.“

Diese Ernsthaftigkeit hat sich auf die DarstellerIn-nen übertragen, sie tragen das Stück mit, auch wenn kein ausgearbeiteterPlot die Einfühlung erleichtert. Wichtiger Motivationsfaktor dabei ist die Live-Musik, die die Szenen fast ohne Unterbrechung begleitet: Unter der Leitung der beiden 28-Jährigen Jörg Wockenfuß und Jan Beyer haben fünf Musikstudenten aus den Proben heraus Leitmotive entwickelt und in Bandbesetzung zu einer abwechslungsreichen Klangcollage verarbeitet. „Es war eine schöne Möglichkeit zu zeigen, wie spontan man ist. Wir mussten schnell komponieren“, resümiert Pianistin Susanna Blechschmidt, 21. Und die 16-jährige Jenny meint: „Das Beste an dem Stück ist die Musik.“

Im letzten Bild lagern alle 52 DarstellerInnen auf der Bühne vor einem imaginären Fernseher und essen harmonisch Chips. Die Idee für das Schlussbild kam von den Jugendlichen: „Wir wollten auch etwas Positives zeigen. Damit die Clique nicht nur negativ dargestellt wird.“ Festnageln auf einen Standpunkt, das lassen sie sich schon mal nicht. Auch wenn von dem ein oder anderen T-Shirt noch der Teddybär winkt.

Jakob Flex

„Cliquen“ ist noch ein Mal im Rahmen der Jubiläumsfeier „25 Jahre Moks“ zu sehen. Und zwar am 24. Mai um 20 Uhr.