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: HELMUT HÖGE über den neuen Pol Plot

Die Kosmopolen im postsowjetischen Upstreambereich

Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, aber auch die neue Leiterin des polnischen Kulturinstituts, Joanna Kiliszek, gehen oft und gerne in den Club der polnischen Versager. Olga Tokarczuk meinte aber dennoch bemerken zu müssen: Die auf der dortigen Tor-zum-Osten-Straße sich ständig steigernde Russenbegeisterung resultiere aus der Schwäche der Deutschen für „Siegermächte“. Ich wandte dagegen ein, zumindestens meine Begeisterung hub erst mit der Niederlage der Sowjetunion an – und historisch sei sie auch eher wölfisch als hündisch zu nennen.

Vorgestern Nacht traf ich mich im Club mit den zwei Punkdichtern Zaluskie (aus Konstanz) und Kuba (aus Leipzig). Die zwei Kosmopolen aus der Provinz waren völlig begeistert von dem dortigen Wodka-Parcours: Russen-Garage, Versagerclub, Dom Kultury (B), Russendisko und -diskoclub. Und überall wimmelte es von Polen und Russen. Zaluskie übersetzte hin und her, aber Kuba weigerte sich: „Die Polen meinen immer, sie können Russisch, aber wenn sie dann versuchen, es zu sprechen, werden sie ganz klein!“

Der Tip veröffentlichte gerade einen hündischen Artikel über diese „Russenscene“, in dem die Polengeschichten ignorant einfach subsummiert wurden. Danach akzeptierte ich die Torkaczuksche Deutschenschelte. Dessen ungeachtet scheinen zum einen die „Russen“ sich zu diversifizieren (so schimpften die Leningrader in der Garage zum Beispiel über die Moskauer Russendisko, weil dort nur noch Deutsche – Touris und Prominente ausgerechnet – hingehen) und zum anderen die Polen und Russen in einem Wettbewerb zu stehen: In der Linienstraße nebenan fand gerade wieder ein allrussisches Kakerlakenrennen statt, und das polnische Kulturinstitut, das sich sowieso deimmobilisieren will, veranstaltet im Babylon am Rosa-Luxemburgplatz eine neue Filmreihe: „Pol Plot“. Sie beginnt am 18. April um 19 Uhr 30 mit Robert Glinskis Spielfilm „Hi Tereska“. Die Polen in der Russendisko und die Polenforscherin der FAZ, Stefanie Peter, kannten den Streifen bereits.

Während sie jedoch mit dem Regisseur meinten, es handele sich dabei erneut um einen Film über die „blockers generation“, also um die Armutsverwahrlosung von Jugendlichen in den Sozialblocks aus der Kommunistenzeit, war ich der Meinung, dass es dabei um den quasinormalen juvenilen Entwicklungswahnsinn im Kapitalismus geht – was man im heutigen Polen fälschlicherweise geografisch – auf die postproletarischen Neubaugebiete – eingrenze.

Jedenfalls habe ich dasselbe Elend wie die jetzigen Warschauer Vorstadtkids in den Sechzigerjahren in der Bremer Altstadt und auf dem Land erlebt. Das polnisch Besondere an Glinskis Film, in dem es um zwei frühreife Mädchen und vier Jungs sowie einige Erwachsene drumherum geht, ist der existenzialistische Realismus – demgegenüber jeder deutsche Spiel- oder Dokufilm irgendwie kitschig wirkt. „Wir lieben das Illegale!“, erklärte mir Zaluskie.

Ich verstand Zaluskie so: Weil das Land Polen immer mal wieder wie auf Rädern hin- und hergeschoben oder sogar ganz aufgelöst wurde – und dann nur noch in der Illegalität existierte, wo es ganz genaue Anweisungen gab, wer, wann, wie mit dem Feindsystem kollaborieren durfte – deswegen ist der Sartre’sche Existenzialismus nur die Pariser Haute Couturisation des polnischen Realismus (à bas)!

Die Illegalität wird dabei fast zu einem Synonym. Und schon beim kleinsten Anziehen der Erziehungsschraube werden die Eltern – wie in „Hi, Tereska“ – mit der „Gestapo“ identifiziert. Auch wir haben damals schnell mit „Nazischwein“ gekontert. Übrigens sind selbst die Laiendarsteller in „Hi, Tereska“ allesamt hervorragende Schauspieler – ist das auch eine polnische Besonderheit?