Die Folgen des Attentats

Die Werke einer glücklichen Zeit sind nichts für unglückliche Menschen: Ein Band mit Essays von Künstlern/Theoretikern sucht nach Strategien für „Kunst nach Ground Zero“

Der Vorlauf war nötig. Zwar hat gleich nach dem 11. September eine Welle von Erklärungsversuchen, Kommentaren und Schuldzuweisungen eingesetzt. Doch kulturell ließ sich das Ereignis nicht abarbeiten: Wer hätte sich angesichts der Zerstörung des World Trade Centers und der 3.000 Toten schon dafür interessiert, was für Folgen das Attentat auf Kunst, Literatur und Kino haben könnte?

Offenbar ist die Trauerzeit nun vorbei. Der Kunstjournalist Heinz Peter Schwerfel hat in seinem Band „Kunst nach Ground Zero“ (DuMont, Köln 2002, 224 Seiten, 19,90 €) gut zwei Dutzend Kulturschaffende und Theoretiker versammelt, die sich genau damit beschäftigen: Was hat der Kunstbetrieb vom 11. September gelernt? Schwerfel nennt es Nachdenken über „die Schieflage der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Weltkarte“ und meint damit vor allem den Westen, in dem via 68 „aus ehemals anarchischer Gesellschaftskritik brave demokratische Konsenspädagogik geworden ist“. Heute regiere dagegen der Ausnahmezustand, während Kultur sich auf dem Weg in die Spaßgesellschaft verrannt habe.

Eine Kanzelpredigt mehr also? Nicht ganz. Zwar überwiegen die Beiträge, in denen schwer am postmodernen Verständnis eines anything goes gerüttelt werden soll. Schnell wird der Kunst also die Aufgabe eines moralischen Platzhalters zugeschrieben, der eine konsensuale Lücke auszufüllen hat – als Pufferzone in einem weltweit herbeiimaginierten Generalkonflikt, bei dem gar nicht klar ist, wer überhaupt die gegensätzlichen Parteien sein könnten. Schließlich sind es ja nicht die Künstler in Nahost und West, die sich bekriegen.

Auch deshalb bleiben die Mutmaßungen zum Wandel der „Kunst nach Ground Zero“ äußerst unbefriedigend. Mal liegt die allgemeine Krise in der Dekadenz der Konsumkultur, mal geht es darum, kritisch zu beleuchten, wie die auch kulturelle Globalisierung nichts an den ökonomischen Realitäten ändern kann. Dann wieder gibt es nur den Schrecken über das, was in New York passiert ist – als mediales Trauma (Slavoj Zizek) oder als endgültiger Verlust einer Hoffnung auf kollektive Identität (Saul Ostrow).

Natürlich finden sich auch Positionen, die den Terror gar nicht erst an den Kunstbetrieb herankommen lassen wollen. Der französische Kurator Eric Troncy ärgert sich vor allem über die schon länger anhaltende Vermarktung politischer Kunstprojekte: Solange man sich mit Galerien und Sammlern über Leihgaben streiten muss, geht Ökonomie vor jeder Moral. Gleichwohl ist sein Argument, mit dem er den Einschnitt vom 11. September zu relativieren versucht, dürftig. Weil sich Kunst nicht um Oklahoma City oder um die Todesstrafe in den USA kümmert, muss sie auch nicht auf die Anschläge in New York reagieren.

Gegen diese dumpfe Negationslogik findet zumindest Wolfgang Ulrich zu einem vernünftigen Ansatz. Bei ihm ist die Schieflage nicht Ausdruck einer Hilflosigkeit von Kunst gegenüber Krieg und Terror – die neuen Kampfplätze sind einfach der falsche Ort, um Kultur heute zu positionieren. Dafür zieht Ulrich nicht bloß die Verirrungen der Kriegsbegeisterung von 1914 als historischen Beleg heran. Gerade in der Gegenwart zeige sich, dass die Verantwortlichkeit der Kunst nicht aus einem traditionellen Weltverbesserungstum lernen kann. Stattdessen macht Ulrich klar, dass selbst ein Künstler wie Gerhard Merz, dessen Arbeiten angeblich dem puristischen Ideal einer „Kunst als Ausnahmezustand“ entsprechen, sich nicht zu schade für Kooperationen mit der Eventkultur ist: Merz hat 2000 für die Autostadt von VW Raumkapseln gebaut.

Ein ähnlicher Pragmatismus hat auch im Umgang mit den Schreckensbildern nach dem 11. September eingesetzt: „Bei den allfälligen Jahresrückblicken der Nachrichtenmagazine fand sich das brennende World Trade Center oder das Gesicht Mohammed Attas bereits als Teil einer Coverbildcollage zwischen Günter Jauch, Steffi Grafs Baby und anderen Events von 2001.“ Auch deshalb bevorzugt Ulrich von vornherein das banale Modell einer an Schönheit und Freizeit orientierten Kunst, die sich gar nicht erst mit „gesellschaftlicher Inkompatibilität“ schmückt. Gerade diese Nähe der Kunst zum Leben könne den Schmerz bewusst machen, den der 11. September ausgelöst hat: weil sich die Verletzlichkeit der Menschen innerhalb der Spaßgesellschaft eben nicht im Leiden, sondern im Vergnügen zeige. In dieser Feststellung geht die intellektuelle Trauerarbeit bei Ulrich weiter und tiefer als in der sonstigen Meinungsroutine zu „Kunst nach Ground Zero“. Das gilt besonders für seinen Schluss: „Denn die Werke einer glücklichen Zeit sind nichts für unglückliche Menschen.“ Ein Satz mit Zukunft, vermutlich. HARALD FRICKE