Krankhaft erfolgreich

Jan Kjærstad verordnet seinem Helden Wergeland neue Facetten: Nach Der Verführer erschien jetzt Der Eroberer  ■ Von Liv Heidbüchel

Um aus der immer unübersichtlicheren Fülle übersetzter Autoren eine vermeintliche Perle oder zumindest einen erhofften Verkaufsschlager hervorzuheben, werben die Verlage gebetsmühlenartig mit einem variablen „der bedeutendeste (hochgelobte, vielgelesene, meistgeliebte etc.) Schriftsteller seiner Heimat“. Wenn nun Kiepenheuer&Witsch seinen Autor Jan Kjærstad als einen der „bedeu-tendsten und erfolgreichsten Schriftsteller Norwegens“ anpreist, liegt der Verlag allerdings richtig.

Jan Kjærstad wird in Skandinavien seit Mitte der 90er Jahre als einer der ganz Großen gefeiert, der sich seinerseits den großen Erzählungen verschrieben hat. Davon legt seine im Norden vollständig vorliegende Trilogie über den Fernsehstar Jonas Wergeland Zeugnis ab. Ihr zweiter Teil, Der Eroberer, wurde jüngst von Angelika Gundlach überzeugend ins Deutsche übertragen und ist Anlass für die Lesereise des Autors. Im Literaturhaus stellte er vor zweieinhalb Jahren bereits den ersten Band Der Verführer vor.

Die Hauptfigur Jonas Wergeland erscheint darin als ein so charismatischer Mensch, wie ihn nur die Fiktion hervorbringen kann. Er verführt neben etlichen Frauen gleich das gesamte norwegische Fernsehpublikum. In seiner Sendereihe Groß denken porträtiert er norwegische Legenden – Künstler, Forscher, Erfinder , die etwas Bleibendes von ihrem kleinen, unbedeutenden Land in die Welt getragen haben. Und nicht zuletzt werden natürlich die Leser verführt. Kjærstad realisiert hier, was ihm in Homo Falsus oder der perfekte Mord (dt. 1998) noch nicht gelang: Metafiktion in einen verführerischen Text zu kleiden. Das Grundmuster unzähliger Fäden, die immer mal wieder fallen gelassen werden, um zu einem unerwarteten Zeitpunkt wieder aufgenommen zu werden, ist auch das vom Verführer und Eroberer. Genauso das Ausreißen aus der Erzählstruktur, das Verwirrspiel, wer was oder gar wen erzählt. Auch der Wergeland-Trilogie liegt ein Mord zugrunde: Die Tote ist Margrete Boeck, Jonas Wergelands Frau. Sieht es im Verführer noch danach aus, als wäre Margrete das Opfer von Neonazis, sitzt Jonas im Eroberer plötzlich selbst als Mörder im Knast. Während Der Verführer ein positives, leichtes Bild vom Tausendsassa Wergeland zeichnet, funktioniert Der Eroberer fast wie sein Antipode: Der Erfolgsmann zeigt sich hier krankhaft eifersüchtig, frustriert von seiner eingebildeten Mittelmäßigkeit, durchdrungen vom Wunsch, mit seinen Sendungen Licht ins Leben der ZuschauerInnen zu bringen.

Das klingt nach Größenwahn, geht in unserer suggestiven Medienwelt aber auf. Immer ist er auf der Suche nach einem anderen als sich selbst.

Nicht von ungefähr wird deshalb der tragische Held Wergeland mit Ibsens Peer Gynt in Verbindung gebracht. In den nur wenigen Seiten langen Episoden versucht der Erzähler zu ergründen, wie man ein Eroberer, wahlweise Mörder wird, und ob es möglich ist, ein Leben zu verändern, indem man es erzählt.

Doch wer erzählt eigentlich? Zum einen ein pensionierter Professor, der eine Biographie über Wergeland schreiben soll. Das recherchierte Material droht den Professor zu ersticken, als ihn doch noch die Muse küsst: Eine geheimnisvolle Frau – vermutlich die fiktive Autorin vom Verführer – erzählt ihm minutiös Jonas Wergelands Leben, selbstverständlich an sieben Abenden. Die faszinierende Detailtreue bezieht jedoch auch Wergeland selbst ein, schließlich hat er ihr im Gefängnis alles haarklein berichtet.

Die Vermischung von Erzählen und Zuhören beziehungsweise Lesen in Kjærstads Roman ist formvollendet, das Konzept überzeugend. Seine Sicht auf norwegische Lebensgewohnheiten ist gleichermaßen von Gemeinheiten durchzogen wie humorvoll. Für den dritten Band – der das Bild von Jonas Wergeland vervollständigen und eine weitere Erklärung für Margretes Tod bereithalten wird – beziehungsweise für die gesamte Trilogie wurde Kjærstad übrigens vergangenes Jahr mit dem renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates ausgezeichnet. Soviel zu „bedeutend“ und „erfolgreich“.

Jan Kjærstad: Der Eroberer; Köln: Kiepenheuer & Witsch 2002; 539 S., 25,90 Euro

Lesung: Dienstag, 23. April, 20 Uhr, Literaturhaus , Schwanenwik