Zeig mir das Spiel des Lebens

Der Verfall bürgerlicher Lebensentwürfe beim Zählen von Grashalmen: Zum dritten Mal findet das Britspotting-Festival in den Kinos Acud, fsk und Central statt. Es zeigt Filme von jungen Leute über junge Leute und Filme, die jenseits von tristen Trabantenstädten und Bergarbeitersiedlungen angesiedelt sind

von ANDREAS BECKER

In dem kleinen Kabuff von Barbara Suhren stapeln sich Broschüren und Filmkassetten. Gerade sind die frisch gedruckten Flyer aus der Druckerei angeliefert worden. Suhren, eine der MacherInnen des fsk-Kinos, ist den Stress ja langsam gewohnt.

Immerhin ist es das dritte Mal, dass ihr Kino zusammen mit dem Acud und dem Central das „Britspotting“-Filmfestival organisiert. Dieses Jahr werden erstmals Preise einer Zuschauerjury verliehen. Viele der Regisseure sind anwesend und werden nach den Filmen mit dem Publikum diskutieren. Es gibt einen Workshop mit Elliot Grove vom Raindance-Filmfestival, dem größten britischen Indie-Filmfest. Tagesordnungspunkte seines Kurses für Möchtegernfilmer: „Vortäuschen eines Millionenbudgets“; „Dein Film als Kultfilm“; „Aufbau einer wirkungsvollen PR-Maschinerie“. Schon bei den ersten Festivals gab es viel zu entdecken. Filme vor allem von jungen und ganz jungen Leuten – und über ganz junge Leute. Und über eine Szene jenseits von tristen Trabantenstädten und Bergarbeitersiedlungen. Dabei ist der angeblich typisch britische Humor einem Ernst gewichen, persönliche Botschaften und Lebensgefühle zu vermitteln. Was es weiterhin gibt, ist der Topos Sozialamt als Repräsentant des „Staates“. Nur ist der Staat schon länger nicht mehr der der Eisernen Lady des Sozialabbaus. Sondern der des smarten Integrationstypen Tony Blair. Jeder hat irgendwie seine Chance. Wenn er noch im Spiel ist. Reste von Ironie sind trotzdem noch stilbildend.

Ziemlich ausgefreakt ist die Story von „Euphoria Blackout“. In diesem einstündigen Digitalfilm haben zwei junge Mädchen, die sich auf dem Bauch liegend wie Moderatorinnen vom Musik-TV unterhalten, ziemliche Probleme mit Aliens. Ein Ufo ist niedergegangen. Das verändert einiges im Leben. Die okönomischen Verhältnisse werden so gruselig, dass man sogar für die Medienbranche arbeitet. Konstruiert ist dieser Film als Patchwork aus surrealistischen Interviews. Der junge Bettler, der kauernd vorm Hauseingang um „Change“ bittet, hat dabei nur noch Zitatcharakter.

Die Workshops von Elliot Grove zur Produktion von Low-Budget-Filmen scheinen in einigen Britspot-Filmen ihren Niederschlag gefunden zu habgen. „Everyone’s Happy“ ist einer dieser „kleinen“ Filme, die mit geringem Aufwand und wenig technischem Schnickschnack eine Geschichte erzählen, die einen umbläst wie ein Orkan. Die beiden Schwestern Maya und Dannie campen in einem Wohnmobil mit Zeltanbau direkt an der recht rauen Nordseeküste. Dieser merkwüdig flüchtige Ort beherbergt auch ein Ehepaar, Rachel und Mike. Er ist spielsüchtig. Und beide hatten einen Sohn, den sie zur Adoption freigegeben haben. Der ist mittlerweile Teenager, kennt seine wahren Eltern nicht und wohnt direkt gegenüber in einem kleinen Strandbüdchen. Der Junge verliebt sich in Maya. Währenddessen lernt Dannie Mike besser kennen. Sie zählen Grashalme, und er erzählt ihr von seinem Leben, das sich in ein System von Wetten und Spielen gliedert. Dannie will bei ihm in die Gambler-Lehre des Lebens gehen.

Die Spielhölle der Personenanordnung des Films funktioniert wie ein Uhrwerk. Wir hören das Rauschen der Gaslampen in den Zelten und gruseln uns. Distanz ist kaum möglich, denn die Figuren sind so eindringlich, dass uns die Geschichte sehr nahe kommt. Dazu gesellt sich die Weite der Landschaft, dieses Gefühl von „Alles ist möglich im Leben“. Drei mögliche Paare werden uns vorgeführt. Sie repräsentieren den Verfall bürgerlicher Lebensentwürfe beim Zählen von Grashalmen.

Weisheiten hat dieser superschöne Film auch zu bieten, Glück im Spiel und in der Liebe? „Warum hast du alles verloren, wenn du doch so clever bist?“

„Britspotting“, 3rd British Independent Film Festival, 18.–24. 4. im Acud, Central und fsk, Termine siehe cinema-taz