Dr. Leo und Mr. Kirch

Am Ende eines Lebenswerkes: Der Decoder-Diktator öffnet seine privaten Gemächer

In der trostlosen Ödnis des Münchner Nordens, zwischen Autobahnzubringern, Unterföhringer Heizkraftwerk und Ismaninger Kartoffeläckern, erstreckt sich Kirch-Country. Hier residiert (noch) das einst mächtigste TV-Imperium diesseits der Milchstraße, die Kirch-Gruppe. Doch seitdem über der größten TV-Mülldeponie Deutschlands der Pleitegeier kreist, ist es still geworden um den verhinderten Pay-TV-Papst Leo Kirch.

Was aber treibt der Kabel-Krösus, seitdem die Banken und der Insolvenzverwalter das Sagen haben? Der ausgebootete Medienmogul, der seit 1914 keine Interviews mehr gab, stets sein Imperium als mausgraue Eminenz regierte, gab der Wahrheit die Ehre und gewährte erstmals einen Blick hinter die Kulissen seines Privatdomizils …

Eine penibel geschnittene Buchsbaumhecke verstellt die Sicht auf die altrosa getünchte Prachtvilla im Münchner Prominentenvorort Grünwald. Drinnen huschen livrierte Lakaien über die alten Steinböden im venezianischen Stil. Den Besucher begrüßt der in feinstem Tuch gewandete Medienmagnat mit einem gewinnenden Lächeln und führt ihn charmant plaudernd durch das weitläufige Anwesen. Keine Spur von Groll, Gram oder Verbitterung über die Zerstörung seines Lebenswerks ist ihm dabei anzumerken.

Schwere Ölgemälde zieren die Wände, altfränkische Fresken aus dem deutschen Studentenleben künden von vergangener Burschenschaftlerherrlichkeit. Kein Zweifel, der Besitzer dieser Traumvilla hatte mal viel Geld und noch weniger Geschmack. Und er ist tief gläubig. Sein Name verpflichtet. In der etwas düsteren Hauskapelle springt automatisch Orgelmusik an, wenn man den Lichtschalter betätigt.

Schließlich betreten wir das Allerheiligste: Im voll verspiegelten Medienzimmer steht auf einem altarähnlichen Podest ein Fernseher, der in einer Endlosschleife das WM-Finale Deutschland–Ungarn aus dem Jahr 1954 überträgt. „Das schaue ich mir stundenlang an, wenn ich entspannen will“, meint der umgängliche Ex-Tycoon und läutet nach dem Butler. Dann die erste Überraschung: Erwin Huber, tagsüber Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, serviert in schwarzer Livree mit gekonntem Schwung Tee und Gebäck und zieht sich mit einer devoten Verbeugung diskret wieder zurück. „Der Erwin macht seine Sache recht gut, wenn man bedenkt, dass er Quereinsteiger ist“, sagt der Hausherr mit einem maliziösen Schmunzeln und nippt an seiner Tasse Earl Grey.

Dann greift er zur Fernbedienung und zappt durch seinen legendären Programmfundus. Bei „Natalie – Die Hölle nach dem Babystrich“ bleibt er hängen. Die Rührung ist ihm deutlich anzumerken. Verstohlen wischt er sich eine Träne von der Wange. Nach seinem tiefen Fall ist ihm nichts Menschlich-Allzumenschliches mehr fremd. Mit einem Augenzwinkern gesteht der knorrige Sinnesmensch, dass ihm als gläubigem Katholiken Filme wie „Unter der Kutte wird gejodelt“ wegen ihrer volkstümlichen Religiosität aber noch lieber seien.

Dieser Charmebolzen soll der knallharte und trickreiche Decoder-Diktator gewesen sein, der selbst hart gesottene Hollywood-Studiobosse wie zu weich gekochte Spagetti um den Finger zu wickeln verstand? Kaum zu glauben. Aber offensichtlich ist der gewesene Medienmulti ein Mann mit zwei Gesichtern: Dr. Leo und Mr. Kirch.

Wie der alte Haudegen beim weiteren Rundgang dann eher beiläufig erwähnt, hat er schon wieder ein neues Projekt auf der Pfanne. Seine aus der Konkursmasse gerettete Privatfirma Leo-Media hat sich in einem knallharten Rechtepoker mit Radio Vatikan die exklusiven Übertragungs- und Vermarktungsrechte an den nächsten Papst-Trauerfeierlichkeiten gesichert. Allein die Bandenwerbung der weltweiten Fernsehausstrahlung dürfte die Kirch-Kasse kräftig zum Klingeln bringen. Leo kann’s nicht lassen … RÜDIGER KIND