Demo-Zapping im Satelliten-TV

In Deutschland lebende Araber und Palästinenser verfolgen die Lage in den besetzen Gebieten über Heimatsender

Zumindest was die Zahl der Demonstranten angeht, konnten die Palästinenser und Araber in Deutschland einen großen Erfolg verbuchen. Am Wochenende solidarisierten sich bundesweit knapp 30.000 Menschen mit den Palästinensern und gingen gegen die jüngste israelische Offensive in den besetzten Gebieten auf die Straße. Allein in Berlin waren es über 10.000 – so viele wie nie zuvor. Die Väter dieses Erfolges sitzen jedoch nicht ausschließlich in Deutschland.

Tagelang sendete im Vorfeld Al-Manar-TV, das Satellitenfernsehen der libanesischen Hizbullah, vom Libanon aus Aufrufe zur Demonstration mit genauen Orts- und Zeitangaben und folgte dabei dem Muster vom ANN, einem unabhängigen arabischen Fernsehsender aus Großbritannien. Der rief schon Ende März, als Arafats Sitz von israelischen Panzern belagert wurde, zu einer Kundgebung am Breitscheidplatz auf. Immerhin fanden sich dort rund 1.000 Menschen zusammen, am nächsten Tag waren es schon über 5.000 Menschen.

Wie groß die Rolle solcher Fernsehsender bei den pro-palästinensischen Demonstrationen inner- und außerhalb der arabischen Welt ist, lässt sich nicht nur an den Demo-Aufrufen messen. Al-Dschasira-TV aus Katar, auch CNN der Araber genannt, sendete keine Demonstrations-, dafür aber Spendenaufrufe. Und überhaupt: Es war Al-Dschasira-TV, das Arafat am ersten Tag der israelischen Belagerung in seinem Sitz in Ramallah interviewte. Das Bild des angeschlagenen Präsidenten mit dem geladenen Revolver auf dem Schreibtisch und seine zitternden Worte: „Sie (die Israelis) wollen mich entweder gefangen, verfolgt oder tot sehen. Ich sage ihnen nein: Ich ende nur als Märtyrer. Märtyrer, Märtyrer, Märtyrer“ erhitzte die Gemüter der Araber überall. Die gleiche Wirkung haben die in den letzten Tagen ausgestrahlten Bilder von der Zerstörung im Flüchtlingslager Dschenin. Repressalien der israelischen Armee, etwa die Durchsuchung der Al-Dschasira-Büros in Ramallah oder der Lizenzentzug des Korrespondenten von Abu-Dabi-TV machte die arabischen Journalistinnen und Journalisten im Krisengebiet, die Tag für Tag mit immer dunkler werdenden Augenrändern berichten, endgültig zu Nationalhelden.

Der Respekt und die Loyalität der Konsumenten gegenüber den eigenen Sendern wird durch ausführliche Berichterstattung über die Initiativen eben dieser Zuschauer, etwa Demos und Kundgebungen, zugleich gestärkt und honoriert. Sie haben das Gefühl, es lohne sich, zu demonstrieren, auch und gerade tausende von Kilometern fern der Heimat. Man trifft sich auf dem Bildschirm der Fernsehgeräte: Palästinenser und Araber sitzen vor der Glotze in Berlin, schauen sich eine pro-palästinensische Kundgebung in New York an und hoffen dabei, Verwandte und Bekannte wiederzusehen. Eine über das Satellitenfernsehen übertragene Veranstaltung auf dem Kudamm weckt Demonstrationsfieber in Brüssel, Washington oder Moskau und umgekehrt, ganz zu schweigen von der Wirkung der heftigen Demos in den arabischen Heimatländern.

Die „Exilaraber“ fühlen sich durch das starke mediale Echo im Satellitenfernsehen wahrgenommen, sie sind nicht mehr nur auf die Gnade der Medien im jeweiligen Ausland angewiesen. So mögen die deutschen Medien bei der pro-palästinensischen Demonstration letztes Wochenende in Berlin ihr Augenmerk auf die Gruppe von Randalierern richten, die Steine gegen das britische Konsulat geschleudert hatte; die Araber der Stadt saßen längst vor den Fernsehgeräten und schauten die Programme von al-Dschsira, ANN oder al-Manar an, wo sie glauben, ihr Gesicht im übertragenen und im eigentlichen Sinne wiedererzukennen. Und wem das nicht genügt, der kann bei zahlreichen Talk-Sendungen dort anrufen und seiner Wut, Trauer oder Frustration über die Lage in Palästina Luft machen. Al-Dschasira fand für seine tägliche Talk-Sendung den passenden Namen: „Unter Belagerung“. Unter Belagerung bleiben allerdings auch die arabischen Zuschauer in Deutschland, die nach Jahren und jahrzehntelangem deutschen Alltag nicht nur ihre Nahrungs-, sondern auch ihre Medienprodukte aus der Heimat importieren, statt einen Platz unter der Sonne zu suchen. Auf deutschen Bildschirmen, versteht sich. AKTAHAM SULIMAN