Bin Laden entkam wegen US-Fehler

In den USA machen Experten den späten Einsatz von US-Bodentruppen dafür verantwortlich, dass Ussama Bin Laden bei der Schlacht um die Höhlenfestung Tora Bora fliehen konnte. Oberbefehlshaber Tommy Franks will von einem Fehler nichts wissen

aus Washington MICHAEL STRECK

US-Geheimdienstexperten werfen ihrer Armeeführung in Afghanistan schwere Fehler vor. Versäumnisse von Oberbefehlshaber General Tommy Franks hätten dazu geführt, dass Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden vermutlich während der Schlacht um Tora Bora im Dezember habe fliehen können.

Bin Laden soll innerhalb der ersten zehn Tage des Kampfes um die ostafghanische Höhlenfestung im Dezember geflohen sein, meldete die Washington Post gestern unter Berufung auf Geheimdienstkreise. Demnach könne Bin Laden zwar bei den Kämpfen umgekommen sein – wahrscheinlich habe er jedoch fliehen können. Hätten US-Bodentruppen ihn früher gesucht statt dies Afghanen zu überlassen, hätte seine Flucht womöglich verhindert werden können, kritisieren Experten. Dies sei der größte Fehler im Afghanistankrieg gewesen.

Bei Tora Bora hätten US-Soldaten sofort am Boden eingesetzt werden sollen, so die Kritiker. Sie haben vor allem US-Oberbefehlshaber Franks im Visier. Er habe die Interessen der afghanischen Alliierten falsch eingeschätzt und die Chance verstreichen lassen, die Al-Qaida-Führer festzunehmen oder zu töten. Franks sei auch gar nicht in der Lage gewesen, die Situation besser einschätzen zu können, da er keine hochrangigen Offiziere vor Ort gehabt habe. Er leitete die Kämpfe von Tampa in Florida aus. „Niemand hatte einen Überblick“, zitiert die Zeitung einen Mitarbeiter des Pentagons.

Ein weiterer Grund für diese „bedeutende Niederlage der USA“ sei die schlechte Zusammenarbeit mit den afghanischen Verbündeten gewesen. Korrupte Afghanen hätten das Höhlensystem nicht richtig abgeriegelt und Al-Qaida-Kämpfern zur Flucht verholfen. Von US-Militärs verhörte Inhaftierte hätten ausgesagt, dass Bin Laden in den Höhlen war. Sie hätten um den 3. Dezember noch eine Nachricht von ihm erhalten. Nach Angaben eines Geheimdienstagenten seien von den Al-Qaida-Führern, die getötet werden sollten, die meisten noch am Leben. Die US-Armee hatte Tora Bora ab dem 30. November zunächst nur aus der Luft angegriffen, während afghanische Kämpfer in das Tunnelsystem eindrangen. Erst Wochen später kämpften dort auch US-Einheiten am Boden.

Franks weist die Kritik zurück. Sein Sprecher bestreitet, dass Bin Laden aus der Festung fliehen konnte. „Wir haben nichts, was uns überzeugen könnte, dass Ussama Bin Laden zu irgendeinem Zeitpunkt in Tora Bora war.“ Zudem sei es für Franks wichtig gewesen, Paschtunenmilizen als Alliierte in die Kämpfe mit einzubeziehen. Die US-Regierung hat Bin Ladens Flucht aus Tora Bora bislang nicht offiziell bestätigt. Präsident George W. Bush versucht den Eindruck zu erwecken, dass es nicht entscheidend sei, ob Bin Laden tot oder lebendig ist. „Terror ist mehr als eine Person.“ Terrorexperten betonen jedoch, dass man im Weißen Haus sehr wohl ein großes Interesse hat, Bin Laden auszuschalten. Denn daran messe die Bevölkerung den Erfolg des Krieges.

Aus den Fehlern bei Tora Bora wurde jedoch gelernt. Als sich im Februar Al-Qaida-Kämpfer bei Gardes sammelten, setzte Franks in der „Operation Anaconda“ sofort US-Truppen am Boden ein.