Staatsanwalt sucht verzweifelt Geschädigte

Der erste Tag des Castor-Prozesses vorm Amtsgericht Lüneburg brachte vor allem eins: stundenlange politische Erklärungen der Angeklagten

LÜNEBURG taz ■ „Ist hier noch ein Angeklagter?“, fragt der Gerichtsdiener in die Menge vor dem Eingang. Darauf gibt es für die versammelten AKW-GegnerInnen nur eine Antwort: „Angeklagt sind wir alle!“ Rund hundert Menschen waren gestern ins Amtsgericht Lüneburg gekommen, um die vier „Beton-Blockierer“ zu unterstützen, die am 27. März 2001 bei Süschendorf den Castor-Transport 17 Stunden aufgehalten hatten. Nun müssen sie sich wegen Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe verantworten. Mit minutenlangen Standing Ovations wurden Mihai Dobberthien (31), Alexander Gerschner (36), Sascha Battacharyya (30) und Arno Külz (34) im Gerichtssaal empfangen. Die fünfte Aktivistin, Marie Steinmann, war auch gekommen. Da sie aber bei der Aktion erst 16 Jahre alt war, findet ihr Prozess vor dem Jugendgericht Dannenberg statt.

Die Anklage gegen die vier Männer von Robin Wood geriet gleich zu Beginn des Prozesses ins Schwimmen: So benannte Staatsanwalt Thomas Vogel weder den Namen der angeblich genötigten Person noch das Unternehmen, dessen Betrieb gestört worden sein soll. Auf Nachfrage gab er fälschlich die Deutsche Bahn AG an. „Durchaus problematisch“, fand das auch Richter Franz Kompisch, entschied aber: Als Geschädigter gilt der Lokführer des Zuges, als gestörter Betrieb die Firma DB Netz AG.

Die Angeklagten nutzten die Gelegenheit und erläuterten neben den Gefahren der ungeklärten nuklearen Endlagerung stundenlang, warum sie sich zum Anketten entschlossen hatten: „Der Staat trägt selbst die Verantwortung dafür, dass der Protest nur noch konspirativ geht“, sagte Alexander Gerschner, „jede offene Demonstration war ja verboten.“ Auch Sascha Bhattacharyya sagte, er habe „keine andere Möglichkeit mehr gesehen, ernst genommen zu werden“. Diese Argumentation will die Verteidigung untermauern: Sie stellte gestern den Antrag, Gutachten einzuholen, die belegen, dass den Angeklagten wegen des Demonstrationsverbots entlang der Castor-Transportstrecke keine andere Form der Meinungsäußerung blieb. Die Verhandlung ist auf drei Tage angesetzt.

HEIKE DIERBACH