Derby kann auch Sünde sein

■ St. Pauli schmückt die fremde Arena für das Derby und macht ein Fußballspiel zum Werbegag

Marinus Bester hasst den FC St. Pauli. Das beweist der inzwischen vom Stürmer zum Pressesprecher des HSV aufgestiegene Unsympath aller St. Pauli-Fans nicht nur auf Oberligaplätzen gegen die Amateurauswahl der braun-weißen „Zecken“. Beim 4:3-Erfolg im Bundesliga-Hinspiel ging es sogar so weit, dass HSV-Torschütze Sergej Barbarez sein Trikot lüftete und ein weiteres Trikot mit der Nummer 26 präsentierte. „Leider war es das Tor vor dem HSV-Block“, ärgert sich Bester heute. Dem gegenüberliegenden Fan-Block mit den erwünschten Empfängern blieb diese Meta-Enttäuschung also erspart.

Zum heutigen Aufeinandertreffen ist nicht mit ähnlichen Maßnahmen zu rechnen. Angesprochen auf die vergangene Provokationsmaßnahme seines Gegenspielers, schlägt St. Paulis Abwehrspieler Holger Stanislawski vor, „dass ich das Trikot von Marinus diesmal unterziehen werde“. Doch auf diese ironische Schlagfertigkeit konnte Bester nicht angemessenen kontern. „Nö, kriegt er nicht“, sagt der Spaßverderber, der St. Pauli nicht zuletzt für seine „unprofessionelle“ Inszenierung meidet.

Eine Disziplin, die vor allem in der Marketing-Abteilung des kleinen Hamburger Vereins ganz groß geschrieben wird. Der abstruse Umstand, aus einem Spiel auf des ungeliebten Gegners Rasen ein Heimspiel zu machen, ist eine willkommene Aufgabe für die Improvisationskünstler der Werbung. Denn Täuschungen gehören zum Geschäft und unprofessionelle Brüche mit oberflächlichen Marketingstrategien sind die auffälligste Vortäuschung natürlich falscher Tatsachen.

Und die falscheste aller Tatsachen ist, das die AOL-Arena heute Millerntor heißt. Trotzdem wird es einen Hauch der guten Stube als virtuelle Abbildung geben. Mit Beamern wird ein das heimische Stadion an die Dachmembran des HSV-Stadions projeziert. Eine wichtige psychologische Maßnahme im Abstiegskampf für den FC St. Pauli. Denn auswärts haben die Braun-Weißen in dieser Saison noch nie gewonnen. Die wenigstens durch technisches Equipment vermittelte Heimstärke muss nur noch in die Beine und Köpfe der Spieler installiert werden. Vielleicht hilft dabei die eigene, einzig manuelle Anzeigentafel der Liga. Diese wurde vorab abgefilmt und wird bei möglichen Toren auf der Videoleinwand des HSV abgespielt. Oder der eigene Stadiontunnel, der vom Millerntor extra in den Volkspark transportiert wurde. Das alle Banden und Vereinsembleme des Stadtnachbarn überklebt und mit eigener Werbung zugepflastert werden, ist da kaum erwähnenswert. Doch die aufwendigen Umgestaltungsmaßnahmen versprechen spannender und überraschender zu werden, als das fußballerische Treffen auf dem Grün. Nicht nur aufgrund der aussichtslosen (St. Pauli) oder langweiligen (HSV) Tabellensituation beider Vereine.

Schon während der Vorbereitungsmaßnahmen für den Umzug keimten die Rivalitäten zwischen den Kontrahenten. Anfänglich wollte der FC St. Pauli den Aufsichtsräten des HSV ihre Parkplätze auf dem Stadiongelände nicht zugestehen. Und auch andere Kleinigkeiten, wie die Provision aus dem Würstchenverkauf und der Kleidung der VIP-Hostessen wurde erbsengezählt. St. Pauli-Trainer Dietmar Demuth ist das alles ein bisschen viel. „Die Marketing versucht ein bißchen Braun-Weiß reinzubringen, aber man kann sich hier nicht zu Hause fühlen.“ Zirka 50.000 Euro kosten die Verkleidungsmaßnahmen, 300.000 Euro die Stadionmiete. Demgegenüber ist mit Einnahmen von ca. 1,2 Millionen Euro für den FC St. Pauli zu rechnen. Es sieht danach aus, als ob es der letzte größere Zahltag für den kleinen Hamburger Club in der 1.Liga ist. „Es ist für längere Zeit das letzte Derby“, glaubt HSV-Trainer Kurt Jara, „und deshalb müssen wir gewinnen, um nicht längerfristig leiden zu müssen.“ Oke Göttlich

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