Annäherung an den Koloss

■ Über den ästhetischen Umgang mit einem grauenvoll-beeindruckenden Gebäude. Karin Burkhart und Helmut Rieländer haben sich zwei Jahre lang künstlerisch mit dem Bunker „Valentin“ in Bremen-Farge beschäftigt

Durch die Theateraufführungen der „Letzten Tage der Menschheit“ nach Karl Kraus ist der ehemalige U-Bootbau-Bunker „Valentin“ öffentlich zugänglich geworden – für jeweils drei oder vier Stunden. Doch Karin Burkhart und Helmut Rieländer kennen auch seine Stille, seine Biotope – und die vielen in den Beton eingegrabenen Fußspuren der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Im Laufe ihrer Beschäftigung mit dem Bunker entstanden über 1.000 Fotos und zahlreiche Bilder und Frottagen (Abriebe von den Betonwänden).

Wie haben Sie den Bunker kennen gelernt?

Rieländer: 1971 stand ich zum ersten Mal davor und fragte mich, was in diesem Koloss drin gewesen sein könnte. Aus dem Eingangsloch kam dieser kalte Atem – das war die Initialzündung. Aber wir sind erst 1997 hinein gekommen, als Quadflieg im Bunker aus „Hortensien in Farge“ las.

Wie hat er dann auf Sie gewirkt?

Burkhart: Erst mal bleibt einem der Atem weg. Man wird von diesen gewaltigen Höhen erschlagen.

Rieländer: In bestimmten Punkten hat er fast so etwas wie Unendlichkeit. Irgendwann endet das Sichtbare im Dunkeln.

Burkhart: Der erste Eindruck war also ganz erschreckend und erschütternd. Manchmal war mir richtiggehend übel. Dann haben wir uns den Bunker allmählich erarbeitet – ertastet und erlaufen.

Durch die Aufführungen haben mittlerweile einige BremerInnen den Bunker betreten – allerdings nur einen bestimmten, mit Theaterlicht inszenierten Teil. Was sieht man außerdem?

Burkhart: Wir sind in alle Ecken gekrochen, wir kannten dann jede Wand und Öffnung – er wurde uns allmählich vertraut. Der Bunker besteht heute ja nicht nur aus Beton und Stahl, inzwischen hat sich auch die Natur eingenistet. Da leben Tauben, Fledermäuse, eine Eule, eine Fuchsfamilie, Olme, Lurche, Farne. Es gibt Wände mit bunten Flechten. Im Fußabdruck eines Häftlings wächst eine Eiche.

Man findet da drinnen ausgesprochen unterschiedliche Orte. Manche sind sehr finster, auch innerlich finster und bedrohlich. Aber es gibt auch ganz lichte Stellen, an denen man Zuversicht empfinden kann.

Rieländer: Durch zwei große Öffnungen fällt Licht hinein, was man als extremen Gegensatz empfindet. Allmählich lappt sich die Natur über den Bunker und verändert ihn. Seit 50 Jahren fließt da ständig Wasser herunter, so dass die Wände ganz grün gefärbt sind. Es gibt auch viel Rot. Aber das Rot ist kein Blut, sondern Rost – und gleichzeitig hat man die Assoziation: In diesem Koloss sind Menschen mit verarbeitet worden.

Wie haben Sie sich diesem Koloss künstlerisch genähert?

Burkhart: Wenn man alleine im Bunker ist, lauscht man in die Stille rein, es ist sehr beklemmend. Man hat den Eindruck, diese Wände schwitzen die ganze Geschichte aus. Ich habe versucht, diese Gewalt und Beklemmung, die ich empfunden habe, darzustellen – in Bildern festzuhalten, wie das Bauwerk auf mir lastet.

Für mich war es dann sehr schwierig zu entscheiden, ob ich mit Schwarz-Weiß oder mit Farbe arbeite. Viele sagten, man könne doch nicht mit Farbe an diesem Thema arbeiten, das wäre nicht angemessen. Erst hatte ich auch wirklich Skrupel, aber es hat sich als stimmig erwiesen.

Andererseits könnte man ja bei manchen – graphisch orientierten – Schwarz/Weiß-Fotografien fragen, ob sie den Bunker nicht ästhetisieren.

Burkhart: Davor hatte ich in der Tat Angst. Aber solche Reaktionen kamen bisher nicht. Ich bilde ab, was ich sehe, ohne zu beschönigen. Diese Ästhetik ist ein Nachempfinden.

Rieländer: Die Theaterleute hatten ja große Schwierigkeiten, den Bunker zu beleuchten und haben sich dann für eine – von ihnen selbst so genannte – „Leni-Rieffenstahl-Beleuchtung“ entschieden. Also für große Scheinwerfer, die von unten her die Wände in regelmäßig gestaffelten Abständen beleuchten. So wurde die Tiefe des Raums nochmal gesteigert.

Das kann auch eine Heroisierung des Gebäudes bedeuten.

Rieländer:Anfangs habe ich das auch so empfunden. Aber dieser Eindruck wurde durch das Theaterstück wieder zerstört. Die Gefahr dieser Gratwanderung ist also durch die Art der Inszenierung aufgefangen worden. Ohne den Theaterbetrieb kam man sich in diesem Licht in der Tat verloren vor.

Einen Teil der im Bunker entstandenen Arbeiten haben Sie vor zwei Jahren in der Villa Ichon ausgestellt. Was ist seitdem hinzugekommen?

Rieländer: Viele Dokumente. Wir haben jetzt zum Beispiel Fotos der so genannten Täter bekommen, also von Leuten aus der mittleren Hierarchieebene – Marineoffiziere, Bauingenieure, übrigens auch Ingenieurinnen.

Burkhart: Uns war auch wichtig, näher an die Opfer heranzukommen. Insgesamt war das eine Entwicklung vom Bauwerk weg hin zu den Menschen.

Nach dem Krieg hat die britische Air Force versucht, den Bunker zu zerbomben. Wäre das aus Ihrer Sicht ein Verlust gewesen?

Rieländer: Ja. Ich habe ja auch Geschichte studiert und mich viel mit der NS-Zeit auseinander gesetzt. Aber letztendlich war das alles nur angelesen . Erst durch das Erlebnis dieses Bauwerks stellte sich für mich die Emotionalität dazu her. Im Bunker wurde mir körperlich begreifbarer, was das alles möglicherweise bedeutet hat.

Burkhart: Für das Verständnis der Nachwelt ist es ganz wichtig, auch das innere Gefangensein nachzuempfinden, das der Bunker ausstrahlt. Das geht, wenn er für eine breite Öffentlichkeit begehbar gemacht wird.

Rieländer: Deswegen habe ich die Idee mit dem Steg durch den Bunker entwickelt. Ich möchte, dass die technische Faszination dieses Bauwerkes kontrastiert oder sogar zerstört wird durch die Darstellung der Bedingungen, unter denen es entstanden ist. Es müsste also große Projektionen auf die Mauern geben mit Bildern der Individuen, die hier gearbeitet haben. So, dass man nicht sagt: ein weiteres Weltwunder, wie der Bunker in Bremen immer genannt wurde.

Interview: Henning Bleyl

Die Ausstellung „Schattenlicht. Leidensweg Lagerstraße“ von Karin Burkhart und Helmut Rieländer wird am Sonntag um 11.30 Uhr im KITO eröffnet. Zum Begleitprogramm gehört am 6.5. auch der Film „Der Bunker“. Er wird in Anwesenheit des ehemaligen Zwangsarbeiters André Migdal gezeigt