Die Hoffnung stirbt zuletzt

Nach dem 0:1 gegen Argentinien demonstriert die DFB-Auswahl die hohe Kunst der Dialektik und sieht sich trotz unleugbarer technischer und taktischer Mängel nicht weit von der Weltspitze entfernt

aus Stuttgart FRANK KETTERER

Die Nacht des Fußballs war dunkel geworden über der Schwabenmetropole, als der Herr mit der grau melierten Frisur eines Rassepudels im immer noch hell beleuchteten Pressesaal des Stuttgarter Daimler-Stadions zwei Dinge klarzustellen hatte. Also, gab Rudi Völler, „die gute alte Käthe“, wie ein Reporter des heimischen SWR den Teamchef des Deutschen Fußball Bundes (DFB) am Nachmittag im Radio beinahe liebevoll noch genannt hatte, zwei Dinge bekannt, und zwar das eigene Wohlbefinden betreffend. Nämlich: a.) Er, des Landes oberster Fußballlehrer, sei auch nach der 0:1-Niederlage gegen Argentinien keineswegs ratlos, wie gerade zuvor insistiert worden war. Und, schließlich b.): „Ich bin nicht so enttäuscht, wie es im Moment vielleicht aussieht.“ Das tat gut zu erfahren, schließlich kann ein Fünkchen Hoffnung bisweilen lebenserhaltend sein, gerade in dunklen Momenten, wie das deutsche Team keine Stunde zuvor einen hatte erleben müssen, auch wenn das knappe Ergebnis zunächst anderes vorzugaukeln schien.

Vielleicht war das ja auch der Grund, warum das Gros der deutschen Kickerbelegschaft die Sache mit der Hoffnung gleich zum Prinzip erhob und auf die trostlosen Fakten des Spiels mit dem Trotz eines Pennälers reagierte, der in der Schule zwar Sechsen in Serie einfährt, sich aber dennoch als einer der Klassenbesten wähnt. So räumte der Leverkusener Jens Nowotny zwar ein, dass die Argentinier mit ihrem schnellen und variablen Angriffsfußball den Seinen und auch sich selbst „ein paar Mal Probleme bereitet“ hätten, alles in allem aber fiel das Zeugnis, das der Abwehrchef zumindest seiner Hintermannschaft austellte, keineswegs schlecht aus: „Da haben wir schon sehr, sehr gut gespielt“, fand Nowotny. Der junge Dortmunder Metzelder beispielsweise habe im Kampf Mann gegen Mann kaum Fehler gemacht, der Münchner Linke auf der gleichnamigen Abwehrseite zwar einen schweren Stand gehabt, schon weil viele Vorstöße der Südamerikaner über ebendiese Flanke vorgetragen wurden, dafür seine Sache aber passabel erledigt, den eingewechselten Baumann wiederum lobte Nowotny als „routiniert und ruhig“. Kein Wort davon, dass Linke überfordert wirkte und deshalb in Halbzeit zwei Baumann Platz machen musste, der seinerseits beim Zustandekommen des Gegentreffers durch den pfeilschnellen Juan Pablo Sorin gleich nach der Pause nicht im Bilde war und dafür von seinem Chef noch auf dem Platz gerüffelt wurde. Nach dem Spiel schien selbst die Wut über das 0:1 bei Nowotny verflogen: „Wir haben nur eine Chance zugelassen.“ Alles andere hätte doch zu hoffnungslos geklungen – und somit das eigene Prinzip zerstört.

Zumal die Abwehr ja keineswegs als der alleinige Buhmann des Abends hingestellt werden darf. Nein, nein, das fing, wie fast immer im Fußball, schon ein Stückchen weiter vorne an, im defensiven wie im zentralen Mittelfeld der Deutschen nämlich, das von Argentinien schlichtweg nicht beachtet und einfach überspielt wurde. So war der Leverkusener Ramelow mit den Vorstößen Gallardos und Sorin aus dem offensiven Mittelfeld der Argentinier ausgelastet, und auch Jens Jeremies kam kaum dazu, einen Blick nach vorne werfen zu können. „Die haben sehr früh gestört und uns unter Druck gesetzt“, fasste Nowotny zusammen, was vom Teamchef bestätigt wurde: „Argentinien hat geschickt und früh gepresst“, fand Völler, was wiederum dazu geführt habe, dass die Deutschen sich nach vorne „nicht so durchsetzen konnten“. So war Ballack in der Spielmacherposition annähernd ausschließlich auf sich alleine gestellt, was, das war im Vergleich mit dem hochklassigen Mittelfeldkollektiv der Südamerikaner bestens zu sehen, in der internationalen Spitze kaum ausreicht, um auch nur einen Blumentopf gewinnen zu können, draußen auf den Flügeln wiederum war der Schalker Böhme (links) zwar zunächst aufgestellt, aber doch so gut wie nicht existent, rechts konnte Torsten Frings zumindest in der Anfangsviertelstunde für ein bisschen Schwung sorgen.

„Wir haben einfach zu wenig Fußball gespielt“, fasste Michael Ballack all diese Dinge zusammen, nicht ohne den Hinweis zu vergessen, dass „heute einige gefehlt haben, um nicht zu sagen: die Hälfte“. Das war zwar faktisch und durch 12 Ausfälle zahlenmäßig belegbar, galt für die Argentinier (sieben Verletzte, darunter Stars wie Veron, Batistuta, Crespo und Ayala) aber mindestens nicht minder. Zumal in Stuttgart nicht alleine technische Mängel des Individuums (Stürmer Bierhoff: „Wir wissen natürlich, dass wir Mannschaften wie Argentinien technisch unterlegen sind.“) offen zu Tage traten, sondern durchaus auch systemimmanente. Wo die Argentinier mit blitzschnellen Positionswechseln für einen stetigen, meist unberechenbaren Gefahrenquell sorgten – allen voran Mittelfeldrenner Sorin sowie Claudio Lopez in vorderster Spitze – und ihr Offensivspiel gleich auf mehrere Schultern verteilten, was vollauf der Idee des modernen Fußballs entspricht, klebten die Deutschen an ihrem all zu starren Positionsspiel, an dem sich auch kaum Wesentliches ändern dürfte, bloß weil man ein paar Namen austauscht. Bestes Beispiel hierfür bietet die Offensive, wo Völler, vom verletzten Neuville einmal abgesehen, so gut wie ausschließlich über Personal verfügt (Bierhoff, Jancker, Klose), das bedient werden muss, während sich die Lopez’ und Konsorten einfach selbst bedienen. Gar nicht so viel anders sieht es auch im Mittelfeld aus, wo Ballack einen Zulieferer braucht, um glänzen zu können. Fehlt ihm dieser, wie in Stuttgart, fehlt es dem Leverkusener auch sichtlich an Glanz, was einerseits nicht wirklich verwundert, andererseits den Ruf nach den Dauerverletzten Scholl und Deisler laut werden lässt: Einer alleine kann’s eben nicht richten, zumindest nicht, wenn auf der anderen Seite jeder jedem zuliefert und alle zusammen das Spiel machen und nach vorne stürmen.

Nur gut, dass Argentinien eine „Andere-Kaliber-Mannschaft“ (Nowotny) ist, um nicht zu sagen eine „Weltklassemannschaft“ (Völler), und man somit immerhin gegen einen der WM-Favoriten verloren hat – und das nur mit 0:1. Denn auch wenn dabei ersichtlich wurde, „dass es für uns sehr, sehr schwer wird bei der WM“ (Bierhoff), so sei die Lage doch immerhin „nicht hoffnungslos“, schließlich habe man in Stuttgart trotz allem auch gesehen, „dass wir gegen die bestehen können“ (nochmals Bierhoff). Oder, wie die gute, alte Tante Käthe es formulierte: „Es war trotzdem recht ordentlich.“ Es lebe das Prinzip Hoffnung.

Deutschland: Lehmann - Linke (45. Baumann), Nowotny, Metzelder - Frings (83. Max), Ramelow, Jeremies (77. Kehl), Böhme (45. Ricken) - Ballack - Bierhoff (70. Jancker), KloseArgentinien: Caballero - Quiroga, Pochettino, Samuel, - Almeyda - Zanetti, Aimar (31. Gallardo - 62. Solari), Sorin, Kily Gonzales (89. Placente) - Gustavo Lopez (77. Saviola), Claudio LopezTor: 0:1 Sorin (48.)