Humanitäre Hilfe als schwierige Ware

Es profitieren nicht nur Bedürftige, sondern manchmal auch Kriegsparteien, Spenderregierungen und Firmen

BERLIN taz ■ Humanitäre Hilfe ist in manchen Teilen der Welt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Menge an Geld und Gütern, die von Organisationen wie Medico, evangelischer Diakonie oder Ärzte ohne Grenzen bewegt werden, ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Jährlich werden weltweit zwischen 6 und 7 Milliarden Dollar für Nothilfe ausgegeben, so Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Medico International am Mittwoch in Berlin. Dort diskutierten Hilfsorganisationen und zukünftige Entwicklungshelfer auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Studiengangs „Internationale Entwicklungszusammenarbeit“ der Berliner Humboldt-Uni die oft verzwickte Situation.

In Staaten wie Liberia nimmt der Handel mit Hilfsgütern inzwischen 12 Prozent des Bruttoinlandprodukts ein. Zugleich ziehen sich die reichen Industrienationen zunehmend aus Krisenregionen zurück: 60 Prozent der Nothilfemittel, die von der EU und den USA bereitgestellt werden, sind im letzten Jahr über nichtstaatliche Organisationen (NGOs) abgewickelt worden.

Thomas Gebauer glaubt nicht mehr an eine Neutralität von Hilfeleistungen. „Hilfe ist heute Business und unterliegt den Marktgesetzen.“ So hat die Pharmaindustrie werbewirksam 34.000 Tonnen Medikamente in das kriegsgebeutelte Kosovo geliefert – zwei Drittel davon waren abgelaufen oder bestanden aus so unsinnigen Mitteln wie Schlankheitspillen, Lepra-Arzneien oder Zahnseide mit Himbeergeschmack. Für die Unternehmen hat sich der Transport trotzdem gelohnt: Sie sparten die teuren Entsorgungskosten für Sondermüll, konnten ihre „Spende“ von der Steuer absetzen und noch damit werben.

Auch Kriegsführer in aller Welt haben in den letzten Jahren gelernt, die Hilfe aus dem Ausland für sich zu nutzen. Hilfscamps in Afghanistan und Ruanda wurden zu militärischen Ausbildungspunkten. Mosambik hat auf jede Tonne Nahrungsmittel 150 Dollar Importzoll erhoben und große Teile ganz einbehalten, um die eigenen Kämpfer zu versorgen.

Auf die Gefahr, von Regierungen missbraucht zu werden, weist Ulrike von Pilar hin, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. „Regierungen schmücken sich gerne mit Hilfsaktionen.“ Hilfe werde zunehmend inszeniert, um im Fernsehen etwa die erfolgreiche deutsche Bundeswehr zu präsentieren und die moralischen Ansprüche der Regierung zu zeigen. So wurden NGOs im Kosovo aufgefordert, die deutsche Flagge in Flüchtlingscamps zu hissen. Und als die Bundesregierung unter großer Medienaufmerksamkeit Bundeswehrflugzeuge in die überschwemmten Regionen Mosambiks sandte, war die Katastrophe schon eingedämmt und Flugzeuge sinnlos. ANNIKA JOERES