Außerhalb des Scheinwerferlichts

Kandidaten von links und rechts warnen, wie schon vor den letzten Wahlen 1995, vor dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen. Dessen politisches Credo ist längst hoffähig geworden

PARIS taz ■ Was, wenn am Sonntagabend Jean-Marie Le Pen an eine der beiden ersten Stellen rücken würde? Was, wenn der 73-Jährige, der die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Abschaffung der Abtreibung, den Ausstieg aus den europäischen Verträgen propagiert und laut über eine Mobilisierung des Militärs gegen die „Aufständischen“ in den Vorstädten nachdenkt, wenn dieser langjährige Scharfmacher der französischen Politik in der Stichwahl gegen Jacques Chirac antreten würde?

„Ausgeschlossen“, heißt es in den Hauptquartieren der anderen Parteien. Le Pen, so beteuern sie, habe keine Chance, über die 15 Prozent von 1995 hinauszukommen. Dennoch warnen zahlreiche Kandidaten, rechts wie links, in den letzten Tagen vor dem Urnengang vor dem Rechtsextremen. Er sei, so die rechte Christine Boutin, „kein Kandidat wie jeder andere“.

Die Zeitung Humanité warnt indes vor der Panikmache mit dem Rechtsextremen. Es sei ein „gefährliches Manöver“, schrieb die kommunistische Zeitung an die Adresse der Sozialisten, „mit der Warnung vor Le Pen die Urnen für den eigenen Kandidaten füllen zu wollen“. Der Rechtsextreme selbst ist von seinem Einzug in den zweiten Wahlgang überzeugt. Er sei die einzige „nationale Alternative“, sagt er, und bezeichnet sich als „sozialpolitisch links“ und „wirtschaftspolitisch rechts“. In der ersten Wahlkampfphase ist Le Pen, der früher schon mal Faustschläge ausgeteilt und antisemitische Anspielungen gemacht hat, geradezu sanft aufgetreten. Inhaltlich hat er sein Programm aber nicht geändert.

Seinen Aufstieg zum „dritten Mann“ vollzog er jenseits des Scheinwerferlichtes. Die Medien, die seinen rasanten politischen Aufstieg während der Achtziger- und frühen Neunzigerjahre mit großer Aufmerksamkeit verfolgten, haben ihn seit einigen Jahren ins Abseits gedrängt. Le Pen nutzte dieses Schweigen, um sich als Opfer einer angeblichen Kampagne gegen seine Politik zu inszenieren. Er behauptete, die Medien und die großen Parteien hätten sich gegen ihn verschworen, und ließ die Öffentlichkeit lange in dem Glauben, er schaffe es nicht einmal, die 500 Patenschaftsunterschriften, die für eine Präsidentschaftskandidatur nötig sind, zusammenzubekommen.

Die „Le-Penisierung“ der Gesellschaft ist schon seit langem weit fortgeschritten. In Frankreich, wo Rassismus ein Delikt ist, hat die langjährige Beteiligung von Le Pen an der Politik zu einer Banalisierung des Rechtsextremismus geführt. Heute trauen sich viele zu sagen, dass sie Le Pen wählen. Rassistisches Auftreten gegenüber schwarzen Kollegen wird immer häufiger. Und selbst der staatliche Fernsehaufsichtsrat unternimmt nichts dagegen, dass die Werbespots des zweiten rechtsextremen Kandidaten in diesem Päsidentschaftswahlkampf die rassistische Gleichung: Ausländer = Krimineller inszenieren.

Zusammen mit seinem früheren Parteifreund und heutigen rechtsextremen Konkurrenten Mégret sieht Le Pen am Ende seiner langen politischen Karriere einem Rekordergebnis für die Rechtsextremen entgegen. Und das in Frankreich, dem Land, das am entschiedensten gegen die Rechtsradikalen im Rest Europas kämpft. DOROTHEA HAHN