Über die gothic untote Lust am Morbiden

■ Geistertänze: Die „Bremer Grufties gegen Rechts“

Vor rund fünf Jahren rauschte es im Blätterwald. Magazine wie Spex und Konkret hatten in Erfahrung gebracht, dass es in der bis dahin politisch unauffälligen, gewohnheitsmäßig eher der diffusen („Pop“-)Linken zugerechneten Gothic-Szene eigenartiges Gedankengut gab.

Im Gruftie-Zentralorgan „Zillo“ fand sich eine Anzeige der „Jungen Freiheit“, des Sprachrohrs der „Neuen Rechten“. Nach und nach wurde klar, dass das kein Zufall war, sondern zum einen seitens der Neuen Rechten Interesse bestand, in der Gothic-Szene zu agitieren, zum anderen – seinerseits Voraussetzung für Ersteres –, dass sich dort ohnehin mit rechtem Gedankengut Kompatibles finden ließ: zivilisationsmüde Sinnsuche, der Rückgriff auf bessere Zeiten einer noch nicht amerikanisierten Kultur, Ursprünglichkeit.

Damit mochten andere Grufties nichts zu tun haben, die sich im Mai 1988 in Bremen zusammentaten, ein Signal zu setzen. In einem Aufruf forderten die „Grufties gegen Rechts“, wie sich der Freundeskreis nannte, den Boykott rechtslas tiger Zeitschriften, Bands und Verlage. Im Laufe der Jahre entstanden drei Broschüren: „Die Geister, die ich rief...“, „Die Katastrophe der Phrasen“ und „Die Geister, die ich rief... II“. Außerdem veranstaltet die Gruppe regelmäßig ihren „Geistertanz“ und hin und wieder Konzerte, wie das der „Untoten“ am Donnerstag (siehe nebenstehenden Bericht).

Kersten von den Grufties gegen Rechts erzählt: „Es hat in Bremen angefangen. Inzwischen gibt es aber auch in Rostock und anderen Städten befreundete Gruppen, die teils unter dem gleichen Namen arbeiten, die wir kennen, mit denen wir kooperieren, aber auch Einzelpersonen, die uns Informationen zukommen lassen.“ Mit ihren Broschüren haben die Grufties einiges Aufsehen erregt, und wer etwas über Querverbindungen von Go-thic-Musikern zu neurechten Organisationen wissen will, wendet sich an die Bremer Gruppe, die mittlerweile über ein umfangreiches Archiv verfügt.

Auch der Gegner nimmt sie ernst: Zwei Verfahren gab es bereits, in denen erfolglos Schadensersatz wegen Rufschädigung und Verleumdung eingeklagt werden sollte. Kersten berichtet: „Das letzte kam von einem Vertrieb, der uns im Namen dreier Musikprojekte, die wir kritisiert hatten, verklagen wollte. Das Verfahren ist von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden – formal, weil die Sache verjährt war. Abgesehen davon gab uns das Gericht Recht: Wir hätten nicht behauptet, diese Musiker seien Faschisten, nur, dass sie sich im Fahrwasser des rechten Kulturkampfes befänden und sich davon nicht ausreichend abgrenzten. Das sei durch unsere Broschüre abgedeckt, weshalb es keine Grundlage für eine Klage gebe.“

Über Perspektiven befragt, meint Kersten: „Wir können nur Aufklärung betreiben, versuchen, dass die Leute das Interesse an solchen Bands verlieren, nicht mehr deren Platten kaufen, ihre Konzerte nicht mehr besuchen.“ Wer helfen möchte, kann sich auf der Homepage der Grufties informieren, hier findet sich auch die Kontonummer für allzeit willkommene Spenden, mit denen die Grufties auch die erweiterte Neuauflage der „Geister, die ich rief... II“ finanzieren wollen, die für den Sommer geplant ist.

Andreas Schnell

Die Grufties gegen Rechts veranstalten an jedem ersten Samstagim Monat den „Geistertanz“ im Magazinkeller, Schlachthof. Nähere Informationen auf der Internetseite www.geister-bremen.de

■ Blasphemische Bonvivanterie: „Untote“ im Schlachthof

Die Lust am Morbiden kann offenbar sehr lebensfroh sein, vergleicht man allein das Getränkeangebot bei den „Grufties gegen Rechts“ mit herkömmlichen Punkrock-Kellerkonzerten. Im Magazinkeller des Schlachthofs gibt es nie anderes als Bier und eine Hand voll Limonaden. Am Donnerstagabend, als die Berliner „Untoten“ aufspielten, gab es sogar einen ganz trinkbaren Rotwein zu kaufen, auch wenn im Trockeneis-Nebel nicht ausmachen ließ, von welcher Sorte der Tropfen war.

Nach der Vorband Kontrast, die Electronic Body Music (EBM) neuerer Machart vortrug, präsentierten die Untoten ihren Mix aus elektronischen Beats, hintergründigem Metal und und einigen fake-barocken Versatzstücken. David A. Line und Greta Csatlos aus Berlin haben ihre Wurzeln in der Wave-Szene der Achtziger, pflegen punkigen Appeal, auch wenn dieser Einfluss mittlerweile zugunsten des Pop-Anteils zurückgenommen wurde. Ging es vor fünf Jahren noch um die Minimalforderung „Berlin bleibt Schmierstadt“ und urbane Dekadenz, legt die Band den Fokus nun auf SM-Ästhetik.

Dabei ist es durchaus eine Stärke, dass sowohl in Sound als auch Performance eher angedeutet als durchgezogen wird. Csatlos spielt mit ihrer lyrisch durchaus expliziten Sexualität auf der Bühne, wie Line mit Metalriffs, die nur verhalten ertönen, weil die Gitarre durch einen Bassverstärker entsprechend verschwommen klingt. Der Verzicht auf hochgetunte Tontechnik, mit der Musikanten aller Couleur sich oft schmücken, um ihr Werk „fett“ klingen zu lassen, ist - selbst wenn er nicht beabsichtigt sein sollte - positiv zu notieren und der Grund für den starken Hauch der achtziger Jahre, der durch Musik und Szenerie weht: der Keller, die untergründige Gemütlichkeit, nicht zuletzt auch die Musik, in der zwischen EBM, Metal und Wave-Rock einiges geht. Mal erinnert es gar an die Eurhythmics oder Anne Clark.

„Mit Ansagen hab ich es nicht so“, gesteht Greta und bringt damit auf den Punkt, was ihren Auftritt gegenüber gleichfalls SM-affinen Hochpathetikern wie Die Form so charmant erscheinen lässt: die Unvollkommenheit, die trotz aufwändigen Kompositionen und Video-Show der Veranstaltung das dröhnende Pathos anderer Gothic-Bands nimmt. Andreas Schnell