Das Ende vom Wochenende

Am 20. April 1927 eröffnete die erste Berliner Freizeitmesse, „Das Wochenende“. Was vor 75 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, wird nun insgeheim wieder abgeschafft. Der Werdegang des Wochenendes spiegelt die Krisen des letzten Jahrhunderts

von WALTRAUD SCHWAB

Das Wochenende hält nicht mehr, was es verspricht. Wie sollte es auch, seit sich die Selbstverwirklichung in Turbogeschwindigkeit als große Täuschung entpuppt. In Stress nämlich ist ausgeartet, was einmal gut angefangen hat. So kann beispielsweise der Bankangestellte, der in seiner Freizeit zum Ghostwriter wurde, nun aus Existenzsorgen nicht mehr damit aufhören. Der Schauspieler wiederum, der als Müllmann arbeitet, spielt jedes Wochenende auf Off-Off-Bühnen, um im Geschäft zu bleiben. Die Galeristin aus Mitte hingegen jobbt in ihrer freien Zeit als Tantra-Lehrerin, um sich die Galerie überhaupt leisten zu können. Auch die Therapeutin von nebenan sieht kein Land mehr, seit sie durch einen Auftritt bei „Wer wird Millionär“ ihre Altersversorgung sichern will und deshalb die Hits der Boygroups auswendig lernt. Seit die Wohlstandsgesellschaft nur noch für Politiker und Manager gilt, seit Ladenschlusszeiten kein Tabu mehr sind, seit die Deregulierung des Arbeitsmarktes den Billiglöhnen Tür und Tor öffnet und nicht nur Familienväter sich Zweitjobs suchen müssen, um über die Runden zu kommen, ist das Ende des Wochenendes eingeleitet. Ausgerechnet zu seinem Jubiläum.

Denn vor genau 75 Jahren wurde in Berlin das Weekend als vermarktbare Einheit entdeckt. Unterm Funkturm, der ein Jahr zuvor fertig gestellt worden war, wurde die erste Freizeitmesse, „Das Wochenende“, eröffnet. Eingeschlagen hat sie wohl nicht. In den Zeitungen findet das Ereignis kaum Erwähnung, in den Jahrbüchern ist wenig darüber vermerkt. Selbst über den Eröffnungstag gibt es Unstimmigkeiten. Mal wird der 16. dann wieder der 20. April 1927 genannt. Aus den Unterlagen, die der Messe-Gesellschaft noch vorliegen, obwohl deren Archiv vor Jahren geschlossen wurde, geht hervor, dass 320 Aussteller da waren und dass die Messe bis in den Juli hinein dauerte. Was für eine Initiation in die Vermarktung der Muße! Wochenende und Freizeit – ein Marketing-Gag zum Wohle der Industrie?

Die Messe wurde aus der Taufe gehoben zu einem Zeitpunkt, als mit dem Wochenende deutschlandweit vielfach noch der sonntägliche Gang in die Kirche und die Kneipe nebenan, bestenfalls die Fahrt zum Fußballplatz oder See verbunden wurde. In der Landwirtschaft arbeiteten noch ungefähr 30 Prozent der Erwerbstätigen. Kühe und Schweine aber kennen keine 5-Tage-Woche. Die Arbeitszeit in der Industrie wiederum lag bis Ende der Zwanzigerjahre bei 52 Stunden pro Woche und mehr.

Dennoch veränderte sich das Lebensgefühl der Menschen in den Zwanzigerjahren. In den Metropolen entwickelte sich eine Dienstleistungsgesellschaft, die neuen Massenmedien Film, Rundfunk, Presse suchten sich ihr Publikum und protegierten den dazu passenden mondänen Lebensstil. Neben Bubikopf, Sechstagerennen und Charleston weckte die aufkommende Konsumgesellschaft weitere Bedürfnisse. Tennis war der Modesport jener Zeit. Schallplatten, Radiogeräte, Telefone mussten unter die Leute gebracht werden. Dass Wohnung und Garten aufs feinste und nicht nur aufs notwendigste möbliert werden wollen, musste dem aufstrebenden Kleinbürgertum ebenfalls schmackhaft gemacht werden. Vor allem aber wurde die neue Mobilität zur treibenen Kraft der neuen Freizeitgesellschaft. Dahinter stecken große Interessen, denn für das Auto wurden Absatzmärkte gesucht.

Die Automobilbranche muss denn auch federführend bei der Einführung der Messe „Das Wochenende“ mitgewirkt haben. Fand diese doch vermutlich in den beiden Hallen statt, die dem Reichsverband der Automobilindustrie gehörten und die just 1927 zur Wochenende-Messe vom Berliner Magistrat gekauft wurden. Gleichzeitig wurde die erst vier Jahre zuvor gegründete gemeinnützige Berliner Messe-Aufbau-Gesellschaft in eine Messe- und Fremdenverkehrs GmbH umgewidmet.

Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialismus, Krieg und Wiederaufbau haben den Siegeszug des Wochenendes allerdings kurze Zeit später bereits wieder gestoppt. „Freizeit“ wurde von den faschistischen Strategen bis zur letzten Minute in ihr diktatorisches System eingebunden. Zeit, damit die Deutschen zu sich selbst und zum Nachdenken kommen können, war unter den Nazis nicht erwünscht und nach dem Krieg nicht genehm. Noch 1955 galten 49 Wochenarbeitsstunden in der Industrie. Die Bundesrepublik lag damit international an der Spitze.

Die Verwirklichung des Wochenendtraums kam dann aber rasant. Schon 1960 war die wöchentliche Arbeitszeit auf 44 Stunden gesunken und der Übergang zur 5-Tage-Woche eingeleitet. „Samstags gehört Vati uns“ war die Parole, die die Republik erschütterte. In ihrem Schlepptau wurde zudem der schulfreie Samstag eingeführt.

Lange allerdings hat das Modell nicht gehalten. In Berlin, dort, wo einst „Das Wochenende“ aus der Taufe gehoben wurde, wird nun auch dessen Ende eingeläutet. Denn neoliberale Prämissen und eine politische Logik, die die Deregulierung des Marktes gutheißt, haben durch die Hintertür längst die 50-Stunden-Woche wieder hoffähig gemacht. Nur darüber gesprochen wird nicht. Freizeit, Wochenende – ein kurzer Traum? Müssen die 75-Jährigen nun selbst beim Kampf um das Schöne noch eine Niederlage einstecken?