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auf dem arbeitsamt3. Etage, „Kp bis Sch“

Ick jeh jetzt!

Es gibt Erfahrungen, auf die man verzichten möchte. Arbeitslos sein gehört wohl dazu.

Aber die konjunkturelle Lage verlangt gewisse Vorkehrungen. Eine: Know your enemy! Also auf zum Arbeitsamt, nur mal so. Um die Leidensfähigkeit zu testen, kann das Arbeitsamt Nord als erste Adresse empfohlen werden.

3. Stock, „Angestellte Kp bis Sch.“ Langer Flur, Warteraum, 5er-Sitzbänke mit acht „Kunden“. Hinter dem Tresen suchen zwei junge Frauen Deckung vor einer Dame mit roten Locken. „Ick sitz hier seit über ’ner Stunde und wat passiert? Nüscht“, wettert sie. Es ginge nicht schneller, wenn sie sich aufrege, wird beschieden. „Wann bin ich endlich dran?“, will sie trotzdem wissen. „Ein oder zwei Vermittler müssten noch da sein, die teilen sich ihre Zeit selbst ein“, sagt eine der mental überforderten Tresenkräfte. Die Dame nimmt widerwillig Platz neben zwei anderen „Kunden“. Der Kunde ist König, doch auf dem Amt gibt es keine Royalisten.

„Hat die doch jesacht, ich soll hier mal nicht frech werden“, beklagt sich Frau mit Löwenmähne, eigentlich Verkäuferin, „aber die nehmen ja nur noch Studenten.“ – „Det is der übliche Ton hier“, belehrt sie die Rotlocke. Ein junger Typ in Leder knetet missmutig seine Tasche. Eigentlich will er sich nur abmelden, hat aber noch eine Frage, und weil niemand ans Telefon geht, wartet er jetzt hier, dass jemand seinen Namen brüllt. „Von denen“, sagt er und zeigt in den dunklen Flur, „brauchste nix erwarten.“ Den Job hat er selbst gefunden. „Wehe, die machen ihr Kreuzchen bei ‚vermittelt‘.“

Entstehen so Revolutionen? Türenklappen, Schlüsselklimpern, Schritte. „Jetzt jehtse in die Kantine“, sagt Rotlocke, als eine Vermittlerin gebückt vorbeischleicht. „Und denkt über ihr Leben nach“, ruft sie ihr hinterher. Beifälliges Raunen, bis sich eine Tür öffnet und eine Maxi-Frau im Mini weinerlich verkündet, man hole ja Verstärkung. Doch Kundes Zorn kennt keine Gnade. „Det kann allet nisch wahr sein“, ruft einer, der Chancen hätte, als Van-Damme-Double vermittelt zu werden. „Ick jeh jetzt!“ Wenn eines Tages die Revolution ausbricht, dann bestimmt nicht in Kreuzberg, vielleicht aber im Arbeitsamt Nord. JAN ROSENKRANZ

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