„Über jedes Lob erhaben“

Hans Meyer, Trainer von Borussia Mönchengladbach, spricht über West und Ost, die Stärken der Bundesliga – und warum man ihn dennoch erst seit dieser Saison dort bewundern kann

„Man kann den Fußball inhaltlich doch nicht neu erfinden“

Interview: FRANK KETTERER

taz: Herzlichen Glückwunsch, Herr Meyer. Borussia ist auch nächste Saison wieder dabei. Hätten Sie gedacht, dass es so leicht wird in der Bundesliga?

Hans Meyer: Fanden Sie, es war leicht?

Immerhin hatte Ihre Mannschaft den Klassenerhalt schon vier Spieltage vor Saisonende sicher.

Mag sein, dass das deshalb vielleicht leicht aussah. Tatsächlich war es aber schon so, dass wir auch ein paar Durststrecken zu überwinden hatten und uns dabei auch der ein oder andere Zweifel gekommen ist, darüber nämlich, was wir zu leisten in der Lage sind.

Sie sprechen vom Herbst.

Genau. Zu der Zeit haben wir zwar für unsere spielerischen Leistungen ganz gute Kritiken bekommen, aber nur 17 Punkte in 18 Spielen gesammelt. Das war mehr als mager. Das war eine absolute Abstiegsbilanz.

Die Sie und die Mannschaft noch glänzend gedreht haben.

Ich habe vor der Saison gesagt, dass es eine feine Sache wäre, wenn wir nicht bis zu allerletzt zittern müssten. Das haben wir geschafft. Insofern ist das nichts Besonderes, sondern wir haben einfach unsere Zielstellung erreicht.

Immerhin: Für einen 59-jährigen Bundesliga-Trainer-Novizen ist das eine reife Leistung.

Bitte loben Sie das nicht so sehr, sonst sinken wir uns noch gegenseitig in die Arme und beginnen zu weinen. Obwohl: Bundesliga-Trainer-Novize – das ist schon ein herrlicher Ausdruck.

Für Sie erschwerend hinzu kam, dass in Gladbach das große Geld gefehlt hat, um die Aufsteigermannschaft mit dem ein oder anderen auch nur halbgroßen Namen zu verstärken.

Da befinden wir uns nur in fantastischer Gesellschaft. Es gibt ja sehr viele Trainer in der Bundesliga, die bei Vereinen arbeiten, die nicht aus dem Vollen schöpfen können. Außerdem war ich mir im Klaren darüber, was mich in Gladbach erwartet: Wenn ich bei einem Klub anfange, der sportlich am Boden liegt und eine ganze Menge Schulden hat, dann weiß ich doch, dass ich in den nächsten Jahren nicht großartig investieren kann. Das ist doch logisch.

Welche Bilanz ziehen Sie aus Ihrem ersten Bundesliga-Jahr?

Die Mannschaft hat über weite Strecken ganz ordentlichen Fußball gespielt und mit einer beachtlichen mannschaftlichen Geschlossenheit den Klassenerhalt gepackt. So dass ich sagen würde, dass die Gladbacher Fans seit langem wieder mal stolz auf ihre Mannschaft sein können, ohne dass man das gleich wieder übertreibt.

Und wie fällt Ihre ganz persönliche Bilanz aus?

Lassen Sie die lieber weg.

Warum das denn?

Wenn man 30 Jahre als Trainer tätig ist, und zwar überall und in den höchsten Ligen, dann kann man feststellen, dass zwischen der höchsten Spielklasse der früheren DDR und der Bundesliga kein Unterschied zu erkennen ist. Wobei ich jetzt ausdrücklich nicht vom ganzen Drumherum spreche, von den Zuschauermassen oder von der Bild-Zeitung, sondern rein vom Sport. Und da, unterm Strich, ist Fußball immer das Gleiche. Ganz egal, ob Sie in China trainieren, in Frankreich oder auf einer Insel.

Aber die Bundesliga hat doch bestimmt ihre Eigen- und Besonderheiten.

Klar hat sie die. Ihre Wirksamkeit auf unsere Bevölkerung ist zum Beispiel phänomenal. Wenn man überlegt, welchen Stellenwert die Bundesliga überall einnimmt – in den Medien, in der Politik, einfach im ganzen Leben –, dann ist das sensationell. Und wenn man überlegt, wie häufig die Stadien ausverkauft sind, trotz des Überangebots an Fußball, dann ist das über jedes Lob erhaben. Dazu muss man nichts mehr sagen. Dieses Interesse am Fußball in Deutschland ist wirklich unglaublich, auch wenn das nicht immer nur mit Klasseleistung zu tun hat.

Aha, da krankt es also!

Wieso denn? Dortmund steht im Uefa-Cup-Finale, Leverkusen im Champions-League-Halbfinale, Bayern München hat in den letzten drei Jahren international Unglaubliches geleistet, auch wenn es in diesem Jahr nicht so geklappt hat. Wenn Sie das zusammennehmen, kann es um unsere Bundesliga so schlecht nicht bestellt sein. Ich bleibe jedenfalls dabei: Dass wir ein Niveau haben, das in den Niederungen sicherlich verbesserungsbedürftig ist, aber in seiner Gesamtheit – in Präsentation, Unterhaltungswert, Spannung und auch sportlicher Qualität – ist das Produkt Bundesliga vom Feinsten.

Dennoch ist es noch gar nicht so lange her, dass Sie gesagt haben: „Es war nie mein großes Ziel, in die Bundesliga zu kommen“. Würden Sie das heute auch noch behaupten?

Aber natürlich! Warum sollte die Bundesliga für einen Fußballtrainer das Nonplusultra sein? Vielleicht blicke ich später, wenn ich meine Memoiren schreibe, einmal zurück und sage, dass meine vierdreiviertel Jahre bei Twente Eschede in der holländischen Ehrendivision meine schönste Zeit als Trainer waren. Ich habe überall, wo ich gearbeitet habe, unheimlich gerne gearbeitet und es hat mir viel Spaß gemacht. Obwohl ich nicht Trainer bei Ajax Amsterdam oder beim AC Mailand, lange Zeit meine Lieblingsmannschaften, war, sondern „nur“ bei einem armen Klub wie Mönchengladbach.

Warum hat es so lange gedauert, bis es der Mr. Europacup aus DDR-Zeiten in die Bundesliga geschafft hat? Was ist da schief gelaufen?

Da ist gar nichts schief gelaufen. Das war das Normalste von der Welt. Die Grenze ist gefallen und wir standen mit einem Schlag in der freien Marktwirtschaft und ihren Gesetzen. Da war uns das ein oder andere fremd, obwohl wir mit unserem Grundstudium in Marxismus und Leninismus natürlich damals schon theoretisch bestens Bescheid wussten über das System von Angebot und Nachfrage und darüber, dass der Konkurrenzkampf sehr groß ist und man die Ellbogen raushauen muss, um sich durchzusetzen. Und dass man Wettbewerbsnachteile als Einzelperson nicht so ohne weiteres ausgleichen kann, das haben wir schnell begriffen. Also gehen Sie ruhig davon aus, dass alles völlig normal gelaufen ist.

Zumindest damals aber haben Sie nach eigener Aussage gedacht, dass die Bundesliga „an Hans Meyer nicht vorbeikommt“.

Stimmt. Genau drei Monate lang. Aber das werden Sie einem geschulten Marxisten doch hoffentlich zugestehen: Dass er, auch wenn er vieles theoretisch begreift, sich drei Monate lang überschätzt.

Die Spieler aus der DDR, die Thoms, Sammers, Kirstens, hat man im Westen damals aber gleich und gerne genommen.

Klar. Das waren ja auch gut ausgebildete Billigprodukte. Das waren doch Schnäppchen.

Ballack, Schneider, Jeremies, Rehmer, Linke, Jancker, Zickler, Böhme – noch heute besteht die halbe Nationalmannschaft aus Kickern, die noch in der DDR ihr fußballerisches Einmaleins gelernt haben. War im Arbeiter-und-Bauern-Staat auch die Fußball-Ausbildung und -Förderung besser als im Westen?

Ja. Auch im Fußball war die Nachwuchssichtung und -förderung in einer unglaublichen Art und Weise gut durchdacht und ausgeklügelt. Die Sichtung war ideal, die Organisation mit Kinder- und Jugendsportschulen nahezu optimal. So etwas ist heute, in der freien Marktwirtschaft, gar nicht mehr möglich, schon weil immer ein Risiko dabei ist: Es kann ja sein, dass ich Millionen in meine Nachwuchsarbeit investiere und dennoch fünf, sechs Jahre lang nicht ein einziger Spieler dabei rauskommt. In der DDR hat man das in Kauf genommen, dafür war Geld da. An allen anderen Ecken und Enden hat es hingegen gefehlt.

Was war die größte Umstellung vom Ost- auf den West-Fußball?

Was soll schon groß anders gewesen sein? Fußball gespielt wird ja überall ähnlich. Außer dass das, was im Osten darüber geschrieben wurde, sachlich und fachlich fundiert war. Wir hatten eine ganze Menge richtig guter Fußballjournalisten. Wenn ich das heute betrachte, habe ich das Gefühl, dass der Fußball, also der Sport, eher Nebensache ist. Dafür wird lieber über Nebensächlichkeiten berichtet.

Das ärgert Sie.

Nein. Aber Fußball ist auf dem Platz. Und dort muss der Ball vorne rein und hinten darf man keinen kriegen – das ist überall gleich. Alles andere, was da drumherum gemacht wird, mit neuen, phantastischen Trainingsmethoden und so weiter, können Sie getrost vergessen. Das wird in der Regel ja auch nicht von Fußballern gemacht, sondern von Wissenschaftlern.

Sie würden ihrem Cottbuser Kollegen Eduard Geyer also zustimmen, der gesagt hat, er arbeite auf dem Platz genau wie früher.

„In seiner Gesamtheit ist das Produkt Fußball-Bundesliga vom Feinsten“

Aber klar. Eduard arbeitet wie früher, Otto Rehhagel arbeitet wie früher, und Hans Meyer arbeitet natürlich auch wie früher – nicht ein bisschen anders. Man kann den Fußball inhaltlich doch nicht neu erfinden. Fußball ist weit über 100 Jahre alt.

Und noch nie wurde so viel Geld damit verdient wie heute. Im Moment ist es ja en vogue, sich darüber auszulassen.

Das ist es in der Tat. Aber dann müsste man sich auch über ein paar andere Dinge auslassen. Zum Beispiel über Politiker, die nach vier Jahren eine phantastische Rente kriegen, wo man schon auch nachfragen könnte, ob das gerechtfertigt ist. Oder über Manager und Musiker, die ja auch alle phantastisch verdienen. Wenn man bedenkt, dass hier zu Lande jedes Wochenende neun Stadien voll sind, zudem zwei Millionen Menschen live im Pay-TV zuschauen und am nächsten Tag weitere Millionen die Sportteile der Zeitungen lesen, dann muss man sagen, dass es in Deutschland kein gesellschaftliches Ereignis gibt, das dem Fußball gleichkommt. Und wenn man dann weiß, dass es Firmen gibt, so wie Kirch, die scheinbar oder tatsächlich mit diesem Fußball Milliarden verdienen, dann sollten die Fußballer, die Hauptakteure, doch nicht außen vor bleiben, oder?

Fußballprofis verdienen demnach nicht zu viel?

Das Mittelmaß schon, die Spitze aber nicht. Außerdem: Wenn Sie Verhältnisse wollen wie damals in der DDR, wo ein Fußballer 300 Mark mehr verdient hat als ein Arbeiter, und ein Herzspezialist 400 Mark mehr als der Lehrer einer achten Klasse, wenn Sie die Löhne so nivellieren wollen, dann sagen Sie ruhig Bescheid, dann machen wir das. Ich aber finde es ganz einfach unlegitim, dass man die Pleite dieser Kirchgruppe dazu nutzt, um weiteren Sozialneid zu schüren.

Zurück zu Gladbach, Herr Meyer. Sie haben die Borussia einmal als etwas „Besonderes“ bezeichnet, als einen „Mythos“ gar. Was macht Gladbach dazu?

Also das mit dem Mythos war ich nicht. Ein Mythos ist ja immer etwas nicht Fassbares, etwas Übernatürliches. Was aber in Gladbach in den 70er-Jahren passiert ist, das war nichts Übernatürliches, sondern es war richtig harte Arbeit und richtig guter Fußball, der diesen Namen begründet hat. Und darauf sind die Fans heute noch stolz.

Eigentlich wollten Sie nach dieser Saison Ihre Karriere beenden, außer, so haben Sie gesagt, „wenn wir im nächsten Jahr die Champions League erreichen“. Dazu hat es ja nun doch leider nicht ganz gereicht, dennoch machen Sie weiter. Was gab den Ausschlag? Und sagen Sie jetzt nicht wieder, dass es Ihre unbändige Geldgier war.

Was soll ich denn sonst sagen?

Die Wahrheit.

Also gut: Ich bin so massiv von den Fans und dem Präsidium bearbeitet worden, dass ich mir selbst untreu geworden bin. Allerdings hat der Klub mir auch richtig geholfen, noch einmal zu unterschreiben, in dem er mir zugestanden hat, dass ich mir meine Hüfte im Sommer operieren lassen kann, obwohl ich dann ein paar Wochen ausfalle. Was die Geldgier angeht: Ein bisschen an die Enkel habe ich schon auch gedacht. Ganz ehrlich.

Und was machen Sie, wenn Gladbach in der nächsten Saison in die Champions League kommt?

Dann werde ich auf meinem Ehrenplatz im neuen Stadion sitzen, irgendwo links oben in der Ecke, hoffentlich nicht hinter einem Pfeiler, und mir das Spiel anschauen von meiner Mannschaft, die dann von einem anderen Trainer bestens betreut wird.