Der Horror der Ökonomie

Der Rausschmiss des Bezahlkanal-Chefs Pierre Lescure beschäftigt ganz Frankreich. Die Krise bei Canal + ist eine nationale politische Affäre, denn der Sender stand für eine unabhängige Kulturförderung. Die Angst vor der Amerikanisierung ist groß

aus Paris DOROTHEA HAHN

Canal + galt 18 Jahre lang als Musterbeispiel für die „exception française“ – die „französische Ausnahme“ einer staatlich organisierten und teilweise von privaten Unternehmen finanzierten Kulturförderung. In dieser Woche hat sich das Ruder um 180 Grad gedreht. Seit der Chef von Vivendi Universal, Jean-Marie Messier, den Direktor des Pay-TV-Senders wegen sinkender Aktienkurse rausgeschmissen hat, geht ein Aufschrei des Entsetzens durchs Land.

Canal + symbolisiert nun den „Horror der Ökonomie“, ist ein Synonym für Kulturkommerz und Amerikanisierung der Fernsehlandschaft geworden. Die Belegschaft antwortete auf die Kündigung ihres langjährigen Chefs Pierre Lescure mit Streiks, Demos und Vollversammlungen, die live ins Land übertragen wurden und nie dagewesene Einschaltquoten erreichten.

Filmemacher in Frankreich, aber auch in den USA, reagieren mit wütenden Protesten. Fußballclubs, die von „Canal +“ großzügig finanziert werden, fürchten um ihr Weiterleben. Abonnenten drohen dem Zahlkanal mit Kündigungen. Der staatliche Rundfunk- und Fernsehaufsichtsrat (CSA) hat die Verantwortlichen zu Erklärungen vorgeladen. Und sämtliche Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich sehen sich zu Stellungnahmen gezwungen.

Globalisierungsdebatte

Mit der Affaire Canal + ist ein Hauch von Globalisierungsdebatte in die bislang von nationalen Themen bestimmten Präsidentschaftswahlen eingezogen. Denn hinter Canal + steht ein internationaler Konzern, der weltweit zweitgrößte Medienkonzern. Zu Vivendi Universal gehört, wenngleich europäische Aktionäre angeblich die Mehrheit halten, seit Dezember 2000 auch die US-Gruppe Seagram. Der von dem Franzosen Jean-Marie Messier geleitete Konzern arbeitet weltweit und, von der Wasserversorgung über Telefonleitungen und TV-Sender bis hin zu Musik- und Filmproduktion, in allen gewinnbringenden Branchen. Problem: Mit zahlreichen teuren Aufkäufen hat sich der Konzern verschuldet. Canal + schreibt schon seit Jahren rote Zahlen. Allein damit begründet Konzernchef Messier den Rausschmiss des Fernsehdirektors Lescure. Fachliche Kritik an dessen Arbeit hat er jedoch nicht.

Dass der Rausschmiss in Frankreich kein reines Medienereignis ist, sondern eine nationale politische Affäre, hat mit der besonderen Struktur von Canal + zu tun. Das 1984 gegründete Pay-TV erhielt seine Lizenz mit der Auflage, einen Teil seiner Einnahmen in die Förderung von französischen, aber auch ausländischen Autorenfilmen zu investieren. Auf diese Art ist der Sender an 80 Prozent der französischen Filmproduktion beteiligt und darf dafür die Filme als erster TV-Sender ausstrahlen.

Diese Regelung, die vorerst nur bis ins Jahr 2004 gilt, ist vertraglich festgeschrieben und wird vom Rundfunk- und Fernsehaufsichtsrat überwacht. Sollte der feststellen, dass Canal + seine Verpflichtung nicht einhält, kann er dem Sender die Lizenz entziehen. Dass sich der Konzern aus seinen Verpflichtungen in Frankreich herausstehlen will, befürchten viele Kulturschaffende seit der Fusion zwischen Vivendi und Seagram. Beispielsweise könnte der Konzern die Abonnentenliste des Pay-TVs übernehmen und den Sender zugleich wirtschaftlich aushungern lassen.

Die Ausnahme ist tot

Die Sorgen um die Zukunft von Canal + und die Filmförderung sind schlagartig gestiegen, als Konzernchef Jean-Marie Messier Ende vergangenen Jahres von seinem New Yorker Wohnsitz aus in einem Artikel in der Zeitung Le Monde verkündete, die „exception française“ sei tot. Der Rausschmiss von TV-Direktor Pierre Lescure in dieser Woche ist die erste Tat, die jener Drohung folgt. Es ist die Kriegserklärung eines weltumspannenden Medienkonzerns an Frankreich. So sieht es auch David Lynch, nächster Jury-Präsident beim Filmfestival von Cannes. Der Regisseur meinte: „Als Franzose wäre ich entsetzt.“