Hochkonjunktur der Kinder

Die Summe der Wahlkampf-Investitionen in die Familienpolitik wächst stündlich. Kinderschutzbund und Gewerkschaften hinterfragen den vermeintlichen Boom der Ausgaben für die lieben Kleinen

von FELIX LEE

Familienpolitik ist kein Gedöns mehr. Nachdem der Kanzler am Donnerstag das Thema im Bundestag zu seiner Chefsache erklärt hat, steigen die Pegelwerte wünschbarer Ausgaben ständig. In der Heinrich-Böll-Stiftung erhöhte Familienministerin Christine Bergmann (SPD) wenige Stunden nach dem Kanzlerauftritt die Investitionen ins Kind von vier Milliarden Euro auf fünf – im Falle einer Wiederwahl. Das Geld werde in der kommenden Wahlperiode für mehr Kindergartenplätze sowie Ganztagsschulen ausgegeben.

Der Grünen-Vorsitzende Fritz Kuhn übernahm den Part, die umstrittene Finanzierungsfrage zu erläutern. Demnach wolle die Koalition aus der Reduzierung des Ehegatten-Splittings bei höheren Einkommen rund 2,5 Milliarden Euro erwirtschaften. Doch den Diskutanten genügten die vermeintlichen Pläne der rot-grünen Bundesregierung im Bereich der Kinderbetreuung nicht.

Die Vizepräsidentin des deutschen Kinderschutzbundes, Sabine Walther, kritisierte, eine Ausweitung der Kinderbetreuung könne nicht ausreichen. „Die derzeitige Politik spielt Kinder und soziale Sicherheit immer noch gegeneinander aus“, sagte Walther. Auch die rot-grüne Bundesregierung habe die steigende Kinderarmut in Deutschland nicht aufhalten können. Nach einem Bericht der Nationalen Armutskonferenz ist die Kinderarmut seit 1998 weiter gewachsen. Inzwischen leben 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche von der Sozialhilfe. Jedes fünfte Kind ist von Armut betroffen, berichtete Walther. Selbst in mittelständischen Haushalten mit drei Kindern oder mehr sei keine soziale Sicherheit gewährleistet.

Kuhn wehrte sich gegen die Vorwürfe – indem er neue Wahlversprechen auflegte. Bündnis 90/Die Grünen würden das Kindergeld für einkommensschwache Familien um weitere 100 Euro erhöhen wollen, sagte er. In der Kinderpolitik könne es aber nicht nur allein um die soziale Frage gehen, meinte Kuhn. Er wünschte sich eine umfassenden Familienpolitik, die auch die Themen Ökologie und das Recht der Kinder auf gesunde Ernährung einbeziehen müsse. „Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt“, sagte Kuhn.

Werner Sauerborn, Gewerkschaftssekretär von der Vereinigten Dienstleistungsgesellschaft (ver.di), hielt wenig von den edlen Motiven der Kuhnschen Politik. Mit der Elternzeitregelung habe die rot-grüne Regierung zwar erreicht, dass verstärkt auch Väter zur Kinderbetreuung eine Auszeit nehmen könnten, dies gelte aber erst ab Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten. „6,7 Millionen Arbeitnehmer sind davon ausgenommen.“

Sauerborn sagte zudem, die Wirtschaft sei der Hauptantreiber für die grünen Versprechungen. Die Unternehmen hätten das demografische Problem entdeckt. Nur deswegen habe das Thema Familie auch in der Politik derzeit Hochkonjunktur.

Dem widersprach wiederum eine Zuschauerin: Kinder gebe es in Deutschland genug, nur seien sie eben nicht deutsch. „An die denkt hier aber keiner.“