Ab Montag muss jeder mit jedem können

Um Wirtschaft, Arbeit und Abwanderung geht es bei allen Parteien. Wahlkampf fand in Sachsen-Anhalt nur um Details statt

MAGDEBURG taz ■ Wolfgang Böhmer spricht gern von „Sanierungskoalition“, will heißen große Koalition. Wenn der 66-jährige CDU-Spitzenkandidat von Sachsen-Anhalt ausruft: „Die Leute wollen keinen Politikerstreit!“, und zu gemeinsamen Lösungen aufruft, ist ihm Beifall gewiss. In Sachsen-Anhalt dominieren in allen Parteien die Themen Wirtschaft, Arbeit und Abwanderung, findet Wahlkampf eigentlich nur um Details und Nuancen statt. Jeder weiß, dass die Dinge nicht von heute auf morgen zu ändern sind, dass man die täglich 85 auswandernden Sachsen-Anhalter nicht einmauern kann, dass die staatlichen Handlungsräume begrenzt sind.

Ziemlich einstimmig wird die Bürokratie unter der Regierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) kritisiert. Das kleine Land mit 2 Millionen Einwohnern leistet sich immerhin einen dreistufigen Verwaltungsaufbau mit drei Regierungspräsidien. Schon bei der öffentlichen Verschuldung aber gerät der Wahlkampf zum Streit um des Kaisers Bart. Will man als höchstverschuldetes Ost-Land nun mit dem vorbildlichen Sachsen tauschen, dessen Kommunen dafür Schlusslichter in Deutschland sind? So ernten manche Wirtschaftswundervorschläge sogar bei der CDU nur Spott, wie etwa der von FDP-Spitzenfrau Cornelia Pieper, aus dem Verkauf von 19 Millionen Euro Anteilen an der NordLB eine eigene Aufbaubank zu gründen. Ulrich Marseille, dem Kandidatem der Schill-Partei, begegnet man ohnehin mit Misstrauen ob seiner offenkundigen Privatinteressen als Klinikunternehmer. Und wenn Konkurrent Böhmer eine kommunale Investitionspauschale vorschlägt, kann Höppner nur sagen: „Haben wir schon.“

Hinter markigen Sprüchen verbirgt sich oft nur Ratlosigkeit, denn Sachsen-Anhalts Probleme sind mit wenigen Prozentpunkten Unterschied die des ganzen Ostens. Und weil die Leute das Parteiengezänk darum satt haben, bekommt Höppner das machtpolitische Taktieren nicht gut. Formal nach allen Seiten offen, hat er jüngst seine Präferenzen für eine Umwandlung des bisherigen Tolerierungsmodells in eine Koalition mit der PDS erkennen lassen. Nur so könnte er weiterhin Ministerpräsident bleiben, immer vorausgesetzt, die SPD hält sich morgen bei 25 Prozent knapp vor der PDS. Den Umkehrfall eines Juniorpartners unter PDS-Führung hat SPD-General Franz Müntefering bereits kategorisch ausgeschlossen, und „Höppi“ gehorchte. Wohl wissend, dass dies seine ohnehin zerstrittene Landespartei endgültig spalten würde.

Kein Wunder, dass die Parteien jenseits von Rot-Rot mit dem Abschied vom Rote-Laterne-Image Aufbruchstimmung verbreiten wollen. Nach den letzten Umfragen mit einer über 30 Prozent führenden CDU scheint nach dem 21. April alles möglich: Rot-Rot ebenso wie die große Koalition oder Schill-Partei mit FDP und CDU. Ministerpräsident wollen gleich ein halbes Dutzend Bewerber werden: Wolfgang Böhmer (CDU), Reinhard Höppner (SPD), vielleicht auch dessen Innenminister und starker Mann Manfred Püchel, Cornelia Pieper (FDP), Ulrich Marseille (Schill) und Roland Claus oder Petra Sitte von der PDS. Vielleicht haben sie sich auch deshalb nicht so richtig wehgetan, weil übermorgen schon fast jeder mit jedem können muss. So zahlreich die Anwärter auf die Magdeburger Staatskanzlei auch sein mögen, so wenig scheinen sie im Grunde Lust zu haben, künftig dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass die Karre kaum aus dem Dreck zu ziehen ist. MICHAEL BARTSCH