DIE VERFASSUNGSÄNDERUNG KAM VON OBEN – FÜHRT ABER NACH VORN
: Sieg für das multikulturelle Bosnien

Nicht viele Menschen glaubten nach dem Krieg und dem Friedensabkommen von Dayton 1995 daran, dass das multikulturelle Bosnien wieder auferstehen könnte. Zu tief schienen die Gräben zwischen den Volksgruppen zu sein, und das Land war zerrissen in zwei, wenn nicht gar in drei Teile. Denn in Dayton wurden mit der Republika Srpska und der kroatisch-bosniakischen Föderation fast eigenständige Teilstaaten anerkannt. Die Föderation wiederum zerfiel in kroatisch und muslimisch dominierte Gebiete. Die extremistischen lokalen Machthaber blockierten alle Fortschritte im Friedensprozess. Und serbische wie kroatische Nationalisten hofften, das Land letztendlich territorial aufteilen und die Republika Srpska an Serbien, die Kroatengebiete an Kroatien anzuschließen.

Das geht jetzt alles nicht mehr. Der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch hat als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft Verfassungsänderungen durchgesetzt, die Bosnien und Herzegowina wieder zu einem multikulturellen Staat werden lassen. Zwar hat Petritsch die Verfassungsänderungen gegen Widerstände aller Nationalparteien okroyiert, doch er weiß die Mehrheit der politischen Parteien und vor allem der Bevölkerung hinter sich. Schon bei den letzten Wahlen hatten die nichtnationalistischen Kräfte im Gesamtstaat eine Mehrheit erzielt.

Wenn bosnische Regierungsmitglieder dies als Sieg der europäischen Werte gegenüber der balkanischen Vergangenheit bezeichnen, sind solche Aussagen auch für den Europarat gedacht, der das Land am 25. April aufnehmen soll. Dann wäre der erste Schritt auf einem Weg getan, der einmal mit der Integration in die Europäische Gemeinschaft enden wird. Dass es so weit kam, ist auch all jenen Kräften in den internationalen Institutionen zu verdanken, die gegenüber den nationalistischen Kräften im Lande und deren Unterstützern im Ausland eine feste Haltung eingenommen haben. Das Erbe der bosnischen Geschichte ist die Zukunft des Landes. Und die gründet auf dem friedlichen und toleranten Zusammenleben mehrerer Nationen in einem gemeinsamen Staat. ERICH RATHFELDER