Theorieumtrieb

■ Peaches, Die Goldenen Zitronen und Le Tigre im Schlachthof: Dreimal Retro-Future-Punk

Peaches, das war mal wieder so eine Sache. Immerhin ein „Thema“ für die Journaille, weil sich trefflich über die Sexualität der Frau (an sich) schwadronieren lässt, die hier sehr explizit ausfällt. Dazu noch eine Musik, die mit Verweisen auf die frühen Achtziger eine rockende Nichtrockmusik kreiert, die wiederum ziemlich „punk“ ist und nicht zuletzt deshalb gut in ein Vorprogramm von den Goldenen Zitronen und Le Tigre passt.

Die Goldenen Zitronen laufen mittlerweile fast Gefahr, sich in ihrem Konzept von Weiterentwicklung, personeller Umbesetzung und Erweiterung sowie ihrem Status als ziemlich einzigartige Erscheinung etwas zu souverän zu verhalten, was das Riskante, das ihren Platten seit dem Abschied von Punkrock (als Form) anhaftete, naturgemäß gefährdet.

Mit viel Spaß jedenfalls spannten sie den Bogen von „80 Millionen Hooligans“ über den „ICE Bertolt Brecht“ bis zum „Mann der mit der Luft schimpft“ und „Flimmern“, in dem es zu folgender wundersamen Pseudo-Mundart-Schlusspointe kommt: „Wat solln die Nazis raus aus Deutschland, wat hät denn des für a Sinn - die Nazis könne doch net naus, denn hier gehörn se hin.“ Dafür dürfen wir sie lieben. Und natürlich auch für ihre nervöse, spröde Musik.

Einen ähnlichen Weg wie die Zitronen ging Kathleen Hanna, vom Punkrock fort zu etwas Neuem – Lärm, Disco, New Wave, das offene System Le Tigre. Während die Zitronen einen Auftritt lang vor Godards Meisterwerk „Weekend“ (1967) spielten, waren die Videozuspielungen bei Peaches und Le Tigre weit näher am Thema Popfeminismus.

Wo Godard um die Einbindung sexueller Verhältnisse in eine Art Gesamtökonomie (vulgo: Gesellschaft) bemüht ist, herrscht hier die Ikonografie feministischer Kunst vor. An einer Stelle werden gerasterte Bilder von Frauenkörpern, deren Brüste sich im Beat wiegen, Aufnahmen gaffender und pfeifender Männer sowie Bilder von Selbstverteidigungskursen ineinander montiert. Deutlicher geht's nimmer.

Schon „Bikini Kill“, Vorreiter der Riot-Grrrl!-Bewegung der frühen 90er, trug Erkenntnis im Namen. Kathleen Hanna war eine der auch theoretisch Umtriebigsten. Einiges hat sich seither geändert. Ziemt es sich sonst nicht, über Bekleidungsfragen bei Konzerten zu reden, hier muss man es. Ist doch Styling/Gender thematischer Schwerpunkt.Der Selbstermächtigung in männlich dominierter Rockwelt folgt das dekonstruktivistische Spiel mit Rollen und Bildern. Es ist ihnen ernst, das merkt man. Auch daran, dass Hanna, Johanna Fateman und JD Samson einige Parolen und Ansagen ins Deutsche übersetzen lassen.

Ein lieber Kollege tät hier einwenden, dass ein Video wie Madonnas „What it feels like for a girl“, wenn überhaupt, so etwas wie eine rezeptionsästhetische Wirkung erzielen könnte. Allenfalls vielleicht noch die augenzwinkernd-smoothe Bitchiness einer Missy Elliott. Das möcht noch was bringen. Bedenkenswert dieser Einwand. Andererseits: Auch Schutzräume sind wichtig.

Im doppelten Sinne. Dem Publikum zur launigen Selbstvergewisserung, den MusikerInnen auf der Bühne, damit sie Neues probieren können. Wenn's allen Vergnügen bereitet – um so besser. Höchstens, dass das musikalische Konzept sich bereits kurz vor Schluss erschöpft hatte, hinterließ eine saure Note.

Andreas Schnell/Tim Schomacker