bücher für randgruppen
: Vorne die kleinen Bände, dahinter die großen: Schöner leben mit Büchern

Hübsch geschnitzte Regale

„Alles, was man wissen muss“, titelte der Anglizist Dietrich Schwanitz seinen Check zur Allgemeinbildung. Was dort nicht stand und ich nun weiß, ist, dass der Schutzumschlag seines Bestsellers ein Bücherregal des Bibliomanen Nicolaus Barker aus London ziert. Barker interessiert sich beispielsweise für Bücher, die ein Zehntel ihrer Seiten verloren haben: „Ich frage mich, wie und warum das geschehen könnte.“ Kein Wunder, dass er einst Leiter der Restaurierungsabteilung der British Library war und beschädigte Bücher bei seinem Anblick noch heute leise aus Dankbarkeit rascheln.

Gefunden habe ich Barkers hübsch geschnitztes Regal, ein Erbstück seines Vaters, in dem Bildband „Mit Büchern leben“, der sich der Darstellung geschmackvoller Bibliotheken und leidenschaftlicher Büchersammler widmet. Das Großformat inszeniert die Sammler inmitten ihrer Schätze in oft gediegenem, antikem Mobiliar. Von Keith Richards, dessen Regale sich unter der Last schwerer Bände zum „Dritten Reich“ biegen, über Paul Gettys wohltemperierte Kathedrale seltenster Handschriften und Pergamente bis zur einfachen, aber umso traumhafteren Bibliothek der Lesegesellschaft in Korfu, auf die mildes Mittelmeerlicht fällt.

Die Persönlichkeit der Porträtierten lässt sich deutlich an ihrer Kollektion, der Unterbringung dieser im Mobiliar und dem Ambiente ablesen. Manche verkleiden ganze Wände mit Sammelgut und signalisieren geistige Betriebsamkeit, andere hausen tatsächlich im für sie geordneten Chaos, direkt in der Schatztruhe, einer Bücherhöhle. „Schöner wohnen“ mit Büchern und unterhaltsamen Geschichten um den gepflegten Bücherkult.

Mit Lust hat das durchaus viel zu tun. Wulf D. von Lucius’ Buch titelt knapp „Bücherlust“ und vermerkt darunter trocken „Vom Sammeln“. Tatsächlich besticht das Werk durch eine Vielzahl interessanter Informationen und spannend geschriebener Ereignisse vom eingeklebten „Bücherfluch“, der Dieben die Lust an der Beute verleidet, bis hin zum korrekten Kauf im Antiquariat. Das Sammeln als solches benötige keine Rechtfertigung, leitet von Lucius ein. Es gebe viele Motive, keines sei besser oder schlechter, alle entwickelten sie Kräfte der Sinne, des Geistes und der Seele. Schließlich endet er mit einer Bemerkung Baudrillards: „Der Sinn des Sammeln besteht darin, dass etwas fehlt.“

Diesem sehr angenehm gestalteten Buch fehlt eigentlich nichts. Eingehend wird die wechselnde Bedeutung des Buches in den verschiedenen Zeitepochen beschrieben, und belegt wird dies mit kurzweiligen Geschichten. Das, was das Buch sagt, steht eben nicht unbedingt im Text. Es kann sich auch in der Gestaltung des Einbandes oder der Kombination mit anderen Werken in einer Bibliothek erschließen: „Die Wahrnehmung der ästhetischen, materialen (sic!), historischen und sozialen Botschaften, die ein Buch als Buch verkörpert, steigert in ganz außerordentlichem Maße unser Verständnis sowohl für die Worte wie für die Welt.“

Hier sind wir schon bei einer kleinen Philosophie des Sammeln angelangt. Diese wird in Praktisches eingebunden, wie beispielsweise in eine „zweistufige Aufstellung von Büchern mit der erforderlichen Griff- bzw. Verschiebelücke in der vorderen Reihe“. Vorne die kleinen Bände, dahinter die großen. Einfach, aber gut. Schließlich könnte alles Sammeln mit Platzproblemen enden.

WOLFGANG MÜLLER

Estelle Ellis u. a.: „Mit Büchern leben“. Gerstenberg. 256 Seiten, 66 €.Wulf D. von Lucius: „Bücherlust“. DuMont. 320 Seiten, 34,80 €