Sieg der Sozialisten in Ungarn

Bei den Parlamentswahlen erleidet die Regierungskoalition von Ministerpräsident Orbán eine Niederlage. Neuer Regierungschef wird der Bankier Medgyessy. Zusammen mit den Liberalen kommt er auf eine knappe Mehrheit

aus Budapest GERGELY MÁRTON

„Wir haben gewonnen“, verkündete Péter Medgyessy, Spitzenkandet der Sozialistischen Partei (MSZP,) am späten Sonntagabend in Budapest. Mit einer Mehrheit von zehn Sitzen werden wohl die Sozialisten und ihr Verbündeten, der Bund Freier Demokraten (SZDSZ), die nächste Regierung Ungarns bilden.

Die Sozialisten konnten zwar die Parlamentswahlen für sich entscheiden, aber der zweite Wahlgang ging verloren. Das Bündnis der beiden regierenden Parteien Bund Junger Demokraten FIDESZ von Ministerpräsident Viktor Orbán und das Demokratisches Forum MDF holten bei der Stichwahl auf. Von den 131 Wahlbezirken, in denen bei der ersten Runde am 7. April kein Kandidat mindestens 50 Prozent der Stimmen erhielt, gewannen sie 75.

Einen überragenden Sieger haben die Wahlen damit nicht hervorgebracht. Von den 386 Abgeordneten werden die Sozialisten nach dem vorläufigen Endergebnis 178 stellen, die Liberalen 20. Die Regierungsparteien kamen auf 188 Mandate, aber nach einer Vereinbarung werden sie voraussichtlich eigenständige Fraktionen bilden. Damit wären die Sozialisten die stärkste Kraft.

Entsprechend zurückhaltend fielen Sonntagnacht die Reden in Budapest aus. Ministerpräsident Orbán freute sich über die guten Ergebnisse der Stichwahl, gab sich aber geschlagen. Wahlsieger Medgyessy betonte, er wolle das Land nach dem heftigen Wahlkampf wieder vereinen. Und der Chef der Liberalen, Gábor Kuncze, gab sich mit dem schlechtesten Abschneiden seiner Partei seit der Wende zufrieden. Die Liberalen sind die einzige politische Kraft, die neben den großen Volksparteien die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.

Nach der Meinung von Politologen zeigt das Wahlergebnis vor allem, dass sich in Ungarn zwei große Volksparteien nach westlichem Muster herauskristallisieren. FIDESZ vereint das Spektrum von weit rechts bis in die Mitte. Das liegt daran, dass die rechtsradikale Wahrheitspartei MIÉP in den letzten Wochen Wähler an Orbáns Partei verlor und an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.

Nach Angst- und Horrorszenarien im Wahlkampf war Orbáns Rede nach der Niederlage für viele überraschend gelassen. Die Konservativen hatten zuvor keine Mittel gescheut und die Menschen gegen die Opposition aufgehetzt. Nun scheint Orbán eingesehen zu haben, dass es an der Zeit ist, zu deeskalieren und den Kampf wieder von der Straße ins Parlament zu verlagern.

Der parteilose Bankier Medgyessy hat viel zu tun, wenn er seine Versprechen halten will, zumal er nur über eine knappe Mehrheit verfügt. Im Wahlkampf versprach er allen Gesellschaftsschichten ein besseres Leben. Nach Ansicht von Kritikern könnte dies das Land zahlungsunfähig machen. Andere werfen ihm vor, dass er vor der Wende stellvertretender Regierungschef der Reformkommunisten war. Anschließend verließ er jedoch die Partei und wechselte in die Privatwirtschaft. Darauf gründet der Vorwurf der Regierung, Medgyessy wolle Ungarn dem Großkapital überlassen. Doch offenbar hat der Professor für Wirtschaftslehre mit dem Image eines Fachmanns die Wähler überzeugt. Und schon gestern kam eine Einladung aus Washington.

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