Die SPD sieht weiter rot

Nach dem Debakel von Höppner sehen die Sozialdemokraten keinen Grund, ihre Strategie gegenüber der PDS zu ändern

aus Berlin JENS KÖNIG

Die Abwesenheit des Kanzlers hat natürlich mit seiner Bildergläubigkeit zu tun. Als die SPD in Berlin den Journalisten die Ursachen für ihre verheerendste Wahlniederlage seit 50 Jahren zu erklären versucht, steht nicht etwa Gerhard Schröder am Mikrofon, der Parteivorsitzende, sondern Franz Müntefering, der Generalsekretär. Die Angst, im Fernsehen schlechte Nachrichten verkünden zu müssen, ist beim Medienkanzler offenbar groß. Dafür nimmt er sogar den Vorwurf in Kauf, er sei ein ganz gewöhnlicher Feigling, der seine Partei in schweren Zeiten im Stich lässt.

Aber die Abwesenheit des Herrn S. korrespondiert ganz ausgezeichnet mit der Abwesenheit von tiefgreifender Analyse, die Müntefering an diesem Tag eine Stunde lang zur Schau stellt. Das bezieht sich insbesondere auf die Frage nach der Strategie der SPD gegenüber der PDS. Die ersten fünf Jahre nach der Wende haben die Sozialdemokraten im Osten die Genossen Sozialisten auszugrenzen versucht. Das Ergebnis: Die PDS wurde stärker und stärker. Die nächsten fünf Jahre wollte die SPD die PDS mit einer Strategie der Umarmung erdrücken. Das Ergebnis: Die PDS wurde stärker und stärker. Konsequenzen aus zehn Jahren hilfloser Strategie? Keine.

Müntefering sagt nur das, was jeder kleine Protestwähler in Sachsen-Anhalt begriffen hat: Das Magdeburger Modell, die Duldung der SPD-Minderheitsregierung Reinhard Höppners durch die PDS, ist gescheitert. „Die Tolerierung war ein Fehler“, sagt Müntefering. Die PDS habe gleichzeitig Regierung und Opposition spielen können.

Die SPD sieht in diesem Scheitern jedoch keinen Grund, an ihrem Umgang mit der PDS grundsätzlich etwas zu ändern. Dem Parteipräsidium war es am Montag nicht einmal eine Debatte wert. „Rot-rote Koalitionen“, so Müntefering, „bleiben in Ostdeutschland eine mögliche Form der Zusammenarbeit mit der PDS.“ Und der SPD-General träumt auch weiter davon, durch diese „Strategie“ die ungeliebte linke Konkurrenz eines Tages vom Erdboden verschwinden zu lassent: „Wir halten an unserem Ziel fest, die PDS klein zu machen.“

Erfahrene ostdeutsche Sozialdemokraten wie Richard Schröder, einer der Gründer der Ost-SPD, halten gerade diese ideologische Überhöhung für das Problem bei der Kooperation mit der PDS. „Wir können nicht mit der PDS kooperieren und sie gleichzeitig plattmachen wollen“, sagt Schröder (siehe nebenstehendes Interview).

Ansonsten jedoch bleiben einen Tag nach dem Debakel von Magdeburg fast alle wichtigen ostdeutschen SPD-Politiker auf Münteferings Linie. Mecklenburgs Ministerpräsident Harald Ringstorff, der Brandenburger Landesvorsitzende Matthias Platzeck, der Thüringer SPD-Chef Christoph Matschie – sie alle warnen davor, das Ergebnis von Sachsen-Anhalt auf andere Ost-Länder zu übertragen oder gar das Ende jeglicher rot-roter Koalitionen zu verkünden. Wie sollten sie auch, wo Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern nach den Landtagswahlen im September eine Fortsetzung der SPD-PDS-Koalition in Aussicht gestellt hat. Und wo die Alternative in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg heißt: Rot-Rot oder große Koalition mit der CDU.

Fast der einzige prominente ostdeutsche Sozialdemokrat, der das anders sieht, ist Manfred Püchel, der neue starke Mann der SPD in Sachsen-Anhalt (siehe unten). „Rot-Rot hat sich in unserem Land für immer erledigt“, so Püchel. „Zwei linke Parteien können auf Dauer nicht nebeneinander bestehen. Die Erfahrung lehrt, dass bei einer Kooperation immer die linkere der beiden Parteien davon profitiert.“

Bei Püchel, dem mit Abstand populärsten Politiker im Land, entspringt diese Haltung einerseits seiner politischen Überzeugung. Der Innenminister in Höppners Regierung war schon immer gegen das Magdeburger Modell. Andererseits muss Püchel in dieser Frage hart sein, will er sich im Machtkampf in Sachsen-Anhalts SPD durchsetzen.

Vielleicht muss man, wie Richard Schröder, Theologe sein, um der PDS-Debatte in der SPD jeden Hauch von höherer Bestimmung zu nehmen: „Rot-Rot“, sagt er, „ist keine Glaubensfrage.“