„Tendenz zum Rechtsextremismus in Europa“

Le Pens Triumph erregt Sorge im Europaparlament. Auch Prodis Sprecher mahnt: „Wir erwarten, dass Frankreich seinen Werten treu bleibt“

BRÜSSEL taz ■ Eigentlich hätte Jean-Marie Le Pen diese Woche in Luxemburg vor Gericht stehen sollen. Im Oktober 2000 hatte das Europäische Parlament beschlossen, Le Pen aus seiner Mitte zu verbannen. Der Grund: Ein französisches Gericht hatte ihm im Februar desselben Jahres die bürgerlichen Ehrenrechte in letzter Instanz für ein Jahr aberkannt, weil er 1997 im Kommunalwahlkampf eine sozialistische Abgeordnete verprügelt hatte.

Gegen diese Entscheidung erreichte der französische Faschistenchef vor dem Europäischen Gerichtshof eine einstweilige Verfügung. Nun klagen Europaparlament und französische Regierung gemeinsam, um Le Pen doch noch aus dem Europaparlament hinauszubefördern. Kurz vor der mündlichen Verhandlung bekam das Gericht allerdings Post aus Paris: Das Datum sei angesichts der Präsidentschaftswahlen „inopportun“, die französische Regierung bitte um eine Verschiebung auf die Zeit nach dem Wahlgang am 5. Mai.

Warum sich ausgerechnet Frankreichs sozialistische Regierung über das Zusammentreffen von Wahltermin und Gerichtstermin den Kopf zerbricht, bleibt ihr Geheimnis. Im Europaparlament war man gestern jedenfalls irritiert über den Rückzieher des Mitklägers. Angesichts von Le Pens Wahlerfolg war dort die Stimmung ohnehin gedämpft. „Wir erleben auf europäischer Ebene, in Italien oder in Dänemark, in Österreich oder in Portugal, eine Krise des linken Projekts, sei es sozialdemokratischer oder grüner Prägung“, kommentierte der französische grüne Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit.

Ähnlich desillusioniert reagierte der Chef der deutschen SPD-Abgeordneten im Europaparlament, Martin Schulz. „Das französische Wahlergebnis zeigt die sich verfestigende Tendenz zum Rechtsextremismus in Europa. Das vom Abstieg bedrohte Bürgertum und die Arbeiterschaft sind empfänglich für rechte Parolen. Schuld ist aber auch die Arroganz der linken Bildungselite, die glaubt, ihren Protest durch vornehme Wahlenthaltung ausdrücken zu müssen“, sagte Schulz der taz.

Wie üblich bei nationalen Wahlen reagierte die EU-Komission auch diesmal mit „Kein Kommentar“ auf den französischen Wahlgang. Romano Prodis Sprecher erinnerte die Franzosen allerdings „an die historische und wichtige Rolle, die sie in der EU spielen. Wir erwarten, dass Frankreich seinen Werten treu bleibt.“ Er räumte ein, es gebe generell das Problem, „Europa den Europäern zu nahe zu bringen“.

Die Erklärung von Laeken und der Konvent zur EU-Reform seien ein wichtiger Schritt, diese Entfremdung zu beseitigen. Auch Martin Schulz setzt große Hoffnung in den Konvent. Er müsse den Grundrechtekatalog in die EU-Verträge integrieren. Nur so entstehe ein rechtsverbindliches Instrument – auch gegenüber einem möglichen französischen Staatspräsidenten Le Pen. „Derzeit kann die EU gar nicht reagieren. Artikel 7 im neuen Nizza-Vertrag ist ein Witz, da kann man mit im Sandkasten spielen“, sagte Schulz.

Johannes Voggenhuber, der einzige grüne Delegierte im EU-Konvent, befürchtet nach den französischen Wahlen dagegen einen Rückschlag der Verfassungsdebatte. Dabei sei ein klarer gesellschaftlicher Gegenentwurf nun nötiger denn je. „Nicht eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik, nicht der Ausbau von Militär und Polizei dürfen länger im Mittelpunkt stehen. Europa ist nicht von außen bedroht, sondern von innen.“ DANIELA WEINGÄRTNER