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Abschied mit Vollgas

Die Trash-Girlies verlieren einen Führer: Die Berliner Combo Pop Tarts verabschiedet sich mit einem letzten Konzert aus den Wohnzimmerclubs dieser Welt. Verlegen kichernd und mit fröhlichem Dilettantismus machten sie sich beliebt

Das amerikanische Pop Tart ist eine kleine, viereckige, in Zellophanpapier verpackte Scheußlichkeit mit einem Mantel aus staubtrockenem Bröselteig und einer gnadenlos süßen, synthetischen Fruchtfüllung. Das Törtchen kommt in den Toaster und wird mit einem kleinen „Pop“ wieder ausgeworfen. Nach dem Genuss liegt es klebrig und schwer im Magen.

Die Berliner Pop Tarts sind vier MusikerInnen, die die zuckersüße Beschaffenheit ihrer amerikanischen Namensgeberin zum Prinzip erhoben haben. Doch anders als ihre klebrige Gebäckschwester liegen die drei Berlinerinnen und ihr männlicher Schlagzeuger nicht schwer im Magen. Denn „Pop Tarts“ könnte man auch mit „Pop-Schlampen“ übersetzen: nicht nur süß, sondern auch ein bisschen herb. Seit ihrer Gründung 1994, die vermutlich in einem Berliner Wohnzimmer stattfand, schrammeln Julia (Gesang/Bass), Franzie (Gitarre), Olga (Gitarre/Orgel) und Hennie (Schlagzeug) mit lustvoller Unprofessionalität charmanten Punk-Pop.

Julia und Franzi kennen sich bereits seit der Schule, die anderen Bandmitglieder lernten sie später beim Weggehen kennen. Und wirklich könnte man die legendären Auftritte der Pop Tarts leicht mit einer Vorstellung einer Schülerband verwechseln: Da stehen drei junge Mädels, die verlegen kichernd ihre Instrumente stimmen, dann mit Blick zum schnurrbärtigen Schlagzeuger einen Song anstimmen, um ihn unter lautem Lachen zweimal abzubrechen und schließlich von vorn zu beginnen. Sängerin Julia hampelt nervös vor dem Mikrofon herum, zupft an einer Haarsträhne, lächelt schüchtern und sagt leise Dinge wie: „Na ja, das hat nich so geklappt jetzt, wir machen dann mal mit einem anderen Lied weiter.“ Dann schreit sie plötzlich „Okay, Vollgas!“, und die anderen drei stimmen lauthals ein.

Man hat das Gefühl, mit Freundinnen in einem Proberaum zu sein. Während des Konzerts steht Hennie vom Schlagzeug auf, um Franzie von einem verhedderten Kabel zu befreien, es werden Witze erzählt und kleine Bandstreitigkeiten ausgetragen. Dieser fröhliche Dilettantismus und die totale Weigerung, eine gut organisierte Bühnenperformance abzuliefern, haben die Pop Tarts enorm beliebt gemacht.

Beim Berliner Label Bungalow Records, Heimat anderer charmanter Bands wie Stereo Total, veröffentlichten sie eine CD mit dem brachialen Titel „Woman Is The Führer of the World“, die sehr erfolgreich war. Ihre älteren Kurzwerke, „Style“ und „Try Me“, sind mittlerweile vergriffen. Doch seit dem CD-Erfolg ist es ruhig geworden um die vier Führer des Trash-Girlie-Wohnzimmerpops. Außer sporadischen Auftritten und dem Recycling alten Songmaterials in diversen Samplern gab es nichts Neues mehr. Gerüchte von Trennung und Auflösung machen schon seit längerem die Runde. Nun ist es amtlich: Die Pop Tarts lösen sich auf. Am 24. April geben sie ihr Abschiedskonzert im Berliner Loft.

Was ist geschehen? Haben die Pop Tarts genug davon, süß zu sein? Auf der Seite von Bungalow Records findet man nur die rätselhafte Aussage: „Julia (1976), Olga (1970), Franzie (1976) and Hennie (1973) would like to be seen as an asylum for disorientated adolescents.“

Vielleicht gründen die vier einen Jugendclub und helfen pubertierenden Jugendlichen bei der Identitätsfindung? Oder sie eröffnen eine Wohnzimmerkneipe, wo man bei Pop Tarts und anderen Süßigkeiten wehmütig ihren alten Songs lauschen kann?

Doch bevor die Pop Tarts sich ihrer Zukunft als Exband zuwenden, wird man sie noch einmal kichernd, zupfend, schreiend und Orgel spielend erleben können. Und danach wird die Welt ein Stückchen weniger süß sein.

NINA APIN

Letztes Konzert heute Abend im Loft, Nollendorfplatz 5, 20 Uhr

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