Kritik an Rot-Rot, aber Lob für Gysi

Der PDS-Wirtschaftssenator ist für FDP-Fraktionschef Martin Lindner ein „intelligenter, gewandter Politiker“ mit der richtigen Strategie beim Herlitz-Konkurs. Ein Bündnis mit Union und Grünen nennt er „keine allzu schlechte Variante“

Der Ort der liberalen Bilanz von „100 Tage Rot-Rot“ hätte auch für einen mittleren Staatsakt gereicht. Der normale Raum sei besetzt, sagt die FDP-Fraktionssprecherin, man habe ausweichen müssen. Ob Zufall oder nicht: Die Saalgröße symbolisierte das nach dem liberalen Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt weiter gewachsene Selbstbewusstsein der Liberalen im Abgeordnetenhaus. Das ist so groß, dass ihr Chef Martin Lindner es sich leisten konnte, zwar den Senat als konzeptionslos zu kritisieren, aber auch lobende Worte für PDS-Mann Gregor Gysi zu finden. Ein „intelligenter, gewandter Politiker“ sei der Wirtschaftsenator, für den sich Lindner punktuell Unterstützung vorstellen kann.

„Keine erkennbare Linie“ sah Lindner in der Politik der Koalition und beim Flughafen Schönefeld „einen traurigen Eiertanz“, bei dem Gysi keine Gelegenheit auslasse, seinen Unwillen zum Ausdruck zu bringen. Gysis Haltung beim Konkurs des traditionsreichen Papierwarenherstellers Herlitz aber stützte er: Der Wirtschaftssenator, der eine weitreichende Landesbürgschaft ablehnte und nicht à la Holzmann interventierte, sei „nicht den üblichen Weg gegegangen, den viele erwartet haben“.

Beim FDP-Landesverband sind solche Nettigkeiten nicht zu hören. „Gysi ist eine glatte Fehlbesetzung. Ein PDS-Wirtschaftssenator bringt die Stadt nicht vorwärts“, sagte Parteisprecher Rolf Steltemeier. Doch Lindner wird den Widerspruch aushalten. Nach erst drei Monaten als Fraktionschef ist er eine feste Nummer im Abgeordnetenhaus.

Ende Januar sah das anders aus. Berlins FDP-Chef Günter Rexroft, der die Liberalen mit fast 10 Prozent zurück ins Parlament brachte, hatte sich gerade in die Bundespolitik abgemeldet und den Fraktionsvorsitz abgegeben. Gesichtslos erschien die Gruppe der 15 FDP-Abgeordneten. Exlandeschef Martin Matz war abgemeldet, Bildungspolitikerin Mieke Senftleben für den Fraktionsvorstand durchgefallen. Peinlich geriet ein Antrag, mit einem Denkmal statt Rosa Luxemburg den SPD-Reichswehrminister Noske zu ehren, der 1919 den Spartakusaustand niederschießen ließ.

Die Diskussion über die komplizierten Details der Risikoabschirmung hingegen gab dem Wirtschaftsanwalt Lindner das richtige Thema, um sich als Rexrodt-Nachfolger einen Namen zu machen. Auf Augenhöhe mit den parlamentserfahrenen Oppositionskollegen von CDU und Grünen konnte er immer wieder sachlich fundiert in den Lücken der Risikoabschirmung bohren.

Das hat sich ausgewirkt. Wen kenne man denn aus der Fraktion außer vielleicht noch Lindner, urteilt Udo Marin, Geschäftsführer beim Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller, klassischem FDP-Klientel. Das klingt zwar nach dem Einäugigen unter den Blinden. Doch es gibt Lindner das Standing, vorausschauen und über ein Bündnis mit den anderen Oppositionsfraktionen nachdenken zu können. Derzeit sieht er CDU, FDP und Grünen trotz aller Zusammenarbeit als konkurrierende Parteien. Wenn man allerdings irgendwann näher aneinander rücke, „dann ist das sicherlich keine allzu schlechte Variante.“ STEFAN ALBERTI