Ferguson plant einen Besuch

Rechtzeitig zum Champions-League-Halbfinale gegen Bundesligatabellenführer Leverkusen scheint Manchester United in angemessener Form. Das soll die Mannschaft direkt ins Finale führen

aus ManchesterRAPHAEL HONIGSTEIN

In drei Wochen wird das Finale der Champions League im schottischen Glasgow stattfinden, einer wirtschaftlich maroden Metropole, die neben dem unerbittlichsten Fußballderby der Welt (Rangers gegen Celtic) unglaublich viele und graue Sozialwohnungsblocks zu bieten hat und sonst nicht viel, außer einem Übermaß an Heroinabhängigen. Neutrale Beobachter geraten da kaum ins Schwärmen, bei Alex Ferguson sieht die Sache freilich anders aus. Glasgow ist die Geburtsstadt des kauzigen Trainers von Manchester United, der Triumph am 15. Mai im Hampden Park das vielleicht letzte große Ziel seiner Karriere.

Die romantische Vorstellung vom Erfolg in der Heimat geht beim Ritter Ihrer Majestät diese Saison so weit, dass er in der aktuellen Meisterschaft Schlüsselspieler vor wichtigen Europapokal-Partien schont und auch selbst kurz vor Saisonende viel vom Finale erzählt – und eher wenig von den verbleibenden Chancen auf den vierten Meistertitel in Folge. Der Sieg in Glasgow – so eine schöne Geschichte muss einfach wahr werden, glaubt auch die britische Presse. „Die Macht des Schicksals wird mit Ferguson sein“, weiß stellvertretend für viele die Daily Mail.

Blöd nur, dass dafür im heutigen Halbfinale (20.45 Uhr) erst noch Bayer Leverkusen bezwungen werden muss. Trotz bestechender Leistungen in der Bundesliga und einem famosen Sieg gegen Liverpool im Viertelfinale weiß man auf der Insel mit dem Team von Trainer Klaus Toppmöller noch immer nichts Rechtes anzufangen. Mit seinem eleganten Angriffsfußball und dem Ruf des ewigen Zweiten mag das Team so gar nicht in das in England gepflegte Klischee von den Deutschen – ergebnisorientierte Kämpfer mit eisernem Siegeswillen, aber beschränkten spielerischen Möglichkeiten – passen.

Die offizielle Website von United erklärt vorsichtshalber ganz ausführlich, warum Bayer nichts mit Bayern zu tun hat. „Der Konzern pumpt jährlich Millionen in den Verein“, liest man da, „Leverkusen wird der Erfolg geneidet, weil es so aussieht, als ob sie ihn sich erkauft haben.“ Coach Toppmöller wird gar als „lockenköpfiger Oberboss“ vorgestellt. Ryan Giggs, Uniteds walisischer Dribbelstar, will bei Zé Roberto, Bastürk und Co trotz „einigen außergewöhnlichen Fähigkeiten“ in erster Linie die typisch deutschen Tugenden ausgemacht haben: „Gute Organisation und hohe Arbeitsmoral.“ Und im Observer wird der demnächst zu Bayern München wechselnde Michael Ballack als legitimer Nachfolger von Stefan Effenberg gewürdigt; ein zwei Jahre altes Zitat von Christian Ziege dient als Beweis, dass der 25-Jährige „der arroganteste Spieler Deutschlands“ sei.

Der mangelnde Respekt mag Bayer zusätzlich anstacheln, Toppmöller fühlt sich in der Rolle des Underdogs ohnehin äußerst wohl. Damit sein Team in Old Trafford bestehen kann, muss es allerdings wohl so bedingungslos gut nach vorne spielen wie beim 3:1 gegen Liverpool und hinten frühzeitig die komplizierten Laufwege der United-Stürmer dechiffrieren. Wie schwer das wird, zeigte Manchesters 3:0-Sieg beim FC Chelsea am Wochenende. Fergusons Truppe bot auch ohne die verletzten Beckham und Keane eine angsteinflößend starke Leistung. Der Coach ist nach vielen Experimenten zum gewohnten System zurückgekehrt und ließ Solskjaer im rechten Mittelfeld und den Flügelmann Giggs als hängende Spitze antreten. Zusammen mit dem ständig rochierenden Ruud Van Nistelrooy und dem in seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld extrem überzeugenden Paul Scholes ergab das für den Gegner eine Formel mit zahlreichen Variablen. Sollte auch noch Juan Sebastian Veron rechtzeitig fit werden, könnte Ferguson am Ende des heutigen Abends schon die Verwandten auf seinen baldigen Besuch in Glasgow einstimmen.