Das ganz normale Leben

■ Leise tropft die Melancholie: Lambchop präsentieren am Montag in der Fabrik ihr zerbrechliches Songwriting

Kurt Wagner lebt ein ziemlich durchschnittliches Leben. Er hat eine Frau, drei Hunde, und alle wohnen in einem Haus in Nash-ville. Der vielleicht einzige Unterschied zu anderen Kettenrauchern und ehemaligen Vertretern der Fußbodenverlegebranche besteht da-rin, dass Wagner dieses Leben in wunderschöne Songs fassen kann.

1992 nannte sich seine Band noch Posterchild und setzte sich aus sieben Freunden zusammen, die auf seiner Veranda Musik machten. Zwei Jahre und eine LP später hieß man längst Lambchop und galt als Geheimtipp der so genannt alternativen Countrymusik-szene Nashvilles. Die Band wuchs mit den Jahren auf 13 Mitglieder an, tourte auch bereits mehrmals durch Europa und veröffentlichte insgesamt sechs Alben, die von der Kritik allesamt gelobt wurden. Aber erst 1998 brachte Nixon den Durchbruch, indem das vertraut gewordene Country- und Folk-Spekt-rum Lambchops um einen Faktor ergänzt wurde: Northern Soul. Bläser, Gospelgesänge, Streicher und immer wieder Kurt Wagners Stimme, die sich in ungeahnte Höhen aufschwingt, erinnerten da eher an Motown als an Nashville.

Nach Nixon hörte Wagner auf, Fußböden zu verlegen. Er nahm sich Zeit zum Songschreiben, außerdem waren seine Knie nach 14 Jahren so ruiniert, dass er nur noch im Sitzen auftreten konnte. Also setzte er sich unter einen Mimosa-Baum und betrachtete sein Leben und das seiner Freunde. Scheidungen, Selbstmord, der Tod der Eltern. Seine Songs spiegeln das Leben wider – als 43-Jähriger in Nashville oder sonstwo im amerikanischen Heartland. Wagner wollte eine Platte machen, die „mit einer bestimmten Stimmung beginnt und mit der gleichen Stimmung endet –einer Stimmung, die das ganze Album über erhalten bleiben soll.“

Das Ergebnis heißt Is a Woman und ist noch ruhiger und reduzierter als alles, was Lambchop bisher veröffentlicht haben, eine Art Gegenentwurf zu Nixon. Lambchop sind zum Songwriting zurückgekehrt – perfekter als jemals zuvor.

Die numehr 14 Bandmitglieder mussten sich zurücknehmen zu Gunsten von Wagners Gesang und Tony Crows Klavierspiel. Wagners Stimme ist brüchig, er verschluckt die Silben und flüstert mehr, als dass er singt. Leise tropft das Piano bei „My Blue Wave“ zu lakonischen Wahrheiten wie „and the best is yet to come and you think you are the only one who never get it right“. Das ist melancholisch, aber nicht depressiv, denn in „Flick“ fordert Wagner dazu auf: „This is what you have become now, make something out of it.“

Auf Nixon waren damals keine Coverversionen zu finden. „Es macht Spaß, Musik von anderen zu spielen“, sagte Wagner damals, „aber es ist befriedigender, etwas Eigenes zu spielen.“ Die Freude am Covern hat er ebenfalls wiederentdeckt: Auf der limitierten Erstauflage von Is a Woman findet sich eine Version von Sisters of Mercys „This Corrosion“, die diesem vormals aufgeblasenen Gruftrockmonster eine unerkannte Zerbrechlichkeit abgewinnt, die so anrührend ist, dass es sich lohnt, heimlich die CDs von Freunden zu tauschen, die beim Kauf schneller waren als man selbst.

Live soll die Band auf acht Personen reduziert sein. Ob Lambchop in dieser Besetzung auch Songs aus der vergleichsweise üppigen Nixon-Phase spielen, und wie diese dann umgesetzt werden, ist nur eine der spannenden Fragen des Abends – neben der, wie viele Zigaretten Kurt Wagner im Laufe des Auftritts zu rauchen schafft.

Michaela Soyer

Montag, 21 Uhr, Fabrik