Patiniertes Knackwurst-Massaker

■ Grübeln und Übeln mit König Übü, wie der Franzose sagen würde: Alfred Jarrys „Ubu Roi“ als BAT-Stück

Die Kulissen-Welt als großes Arschloch, aus dem heraus der Schauspieler die Bühne betritt und dem Publikum zumindest verbal „Scheisse“, sprich „Merde“, entgegenwirft: Diesen Schock musste das Publikum anno 1896 in einem Pariser Theater bei der Uraufführung des „Ubu Roi“ vom Bohème-Apostel Alfred Jarry ertragen – und ertrug es erwartungsgemäß noch nicht, denn Bühnenkunst stand noch in der Reputation einer Veranstaltung zur moralischen Erhebung.

Den Skandal jener Jahre kann man naturgemäß heute nicht revitalisieren, wo „Shoppen und Ficken“ schon von der Theaterschar der Kindergruppe „Purzelwichte“ am Elternnachmittag aufgeführt wird. Und so macht die Bremer Inszenierung des BAT-Ensembles von Andreas Wick und Rolf B. Weber aus dem GaDeWe-Milieu gar nicht erst den Versuch, das Stück aus dem Avantgarde-Museum in irgendeine Neuzeit zu überführen.

Die fünf Akte in der wanderbühnentauglichen Kulisse von Thomas Bähr & Co führen uns in die klassische Versuchungssituation des Garten Eden: Mutter Übü versucht rückenkraulend ihren fettleibigen Vatter Übü zum Griff nach der Macht zu animieren, und wer um die Magie solcher Verführungen weiss, der ahnt, dass die Trivialität des Hahnenkampfes keinen langen Anauf braucht.

Zwar ist der Ubu des BAT mit Oliver Huhn von Haus aus nicht der wuchtige Gargantua, täuscht aber selbst als nahezu Magersüchtiger in seinem wattierten Bühnenbauch hinreichende Kolossalität vor und findet sich gestisch wie mimisch voll in seinem surrealen Dicksein zurecht.

Mutter Übü wird in raffinierter Tumbheit von Saskia Löhner zelebriert, Peter Stütz wird als König Wenzeslas vertragsgemäß gemeuchelt, bevor man sich an ihn gewöhnen kann, erlebt aber als forsches Prinzlein Bubelas eine durchaus zu goutierende Wiederauferstehung.

Der ungetreue Hauptmann Tatzensaum findet in Thomas Bähr den sinister-fiesen Ausdruck, Katrin Erlingsen, Nicole Friedrich und Angelina Grunst stolpern und schnattern mal als Pfahlgeister und mal als Armee der Ubuisten durch das turbulente Geschehen, und Katja Ahrens kann sich gleich in einem guten halben Dutzend Rollen verwirklichen, während Susanne Harms als stumme Krankenschwester einfach nicht zu Worte kommt: Issich gemein/reimt das Schwein und wünscht ihr, dass sie zwischendurch wenigstens mal irgendein kokettes Spiritual singen darf.

Und worum geht es, werter Rezensent? Welche Botschaft wird da transportiert, renoviert oder sabotiert? Ach, mein liebes Weltkind in der Mitte, vergiss Dein fruchtloses Grübeln und Übeln! Kucks dir doch selber an, denn Spaß macht das groteske Ringen um Macht und Knackwurst, Gierhalsigkeit und die ohne Tragik nie auskommende Komik allemal, trotz einiger Längen, die vermutlich der dadaistischen Ehrfurchtstollheit vor dem Säulenheiligen Alfred J. geschuldet sind.

Und von wegen Wanderbühne – dieser Abend im Kulturzentrum Westend war ja weder der erste noch der letzte. Das nächste Mal kann man das BAT-Ensemble mit dieser trubeligen Nummer morgen um 20 Uhr im Theatersaal des Cato-Bontjes-van Beck-Gymnasiums in Achim erleben.

Oder auch am 3. und 4. Mai im Kulturbahnhof Vegesack, was die Jungen Liberalen hoffentlich heftig ins Grübeln oder Heulen bringt. Die in der Pause gereichte Bockwurst könnte aber wirklich größer sein – eine Anmerkung, mit der auch der kritischen Würdigung des Gesamtereignisses angemessen Rechnung getragen wird.

Ulrich Reineking