Von Restschuldbefreiung und Erwerbsobliegenheit

Das Insolvenzgesetz für Private sieht einen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung vor. Durch die Haushaltskürzungen des Senats ist diese gefährdet

taz: Frau Heine, wieviele Haushalte in Berlin sind überschuldet?

Bettina Heine: Ungefähr 200.000.

Ist die oben geschilderte Lebensgeschichte ein extremes Beispiel?

Götterts Situation steht stellvertretend für das, was man in der Beratungspraxis erfährt. Ungewöhnlich allerdings ist die Dauer seiner Schuldengeschichte. Seit mehr als 20 Jahren lebt er mit so hohen Pfändungen.

Wie wirkt sich Verschuldung in der Regel auf Schuldner aus?

Es geht von Stress bis zu schweren Krankheiten, von Arbeitsunfähigkeit bis Demotivation. Jemand, der weiß, dass er so hohe Schulden hat und sie durch Arbeit gar nicht zurückzahlen kann, wird sich fragen, warum er arbeiten soll.

Sind die Folgekosten wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Armut im Alter nicht viel teurer als die Verschuldung?

Über das seit 1999 geltende Verbraucherinsolvenzverfahren wird versucht, genau an dieser Stelle einzugreifen. Mit dem Verfahren wird eine Möglichkeit zur Entschuldung geschaffen. Dabei hat der Privatschuldner eine Erwerbsobliegenheit, d. h. er muss nachweisen, dass er ein pfändbares Einkommen erwirtschaftet. Das wird kontrolliert. Wird das erfüllt, kann nach sechs Jahren, bei Altfällen bereits nach fünf, eine Restschuldbefreiung gerichtlich beschlossen werden. Damit erhalten die Betroffenen wieder eine Perspektive auf gesellschaftliche Integration. So werden Folgekosten gespart.

Wem nützt, wer fördert Verschuldung von Privatpersonen?

Inkasso-Büros beispielsweise. Sie treiben Schulden ein und dafür nehmen sie Gebühren.

Wie ist es mit Banken oder Kaufhäuser, die Schuldenmachen geradezu bewerben?

Es ist ein geschäftliches Risiko, das sie eingehen. Wenn sie Ausfälle im Kreditbereich haben, gibt es aus unternehmerischer Sicht die Möglichkeit, im Rahmen der Bilanz damit zu arbeiten. Wenn sie gute Gewinne machen, können sie solche Verluste steuerlich kompensieren.

Müssten Kaufhäuser und Banken nicht viel mehr zur Verantwortung gezogen werden in Situationen, wo keine Aussicht besteht, die Schulden jemals zurück zu bekommen?

Das geschieht durch das Verbraucherinsolvenzverfahren. Denn auf Gläubigerseite kann durch gerichtlichen Beschluss festgelegt werden, dass dem Schuldner die restlichen Schulden erlassen werden. Für den Gläubiger ist das ein ganz erheblicher Eingriff, schon eine Form der Enteignung.

Die Kommunen sind verpflichtet, ein angemessenes Angebot an Insolvenzberatungsstellen zu bieten. Der Bürger hat einen Rechtsanspruch darauf. Trotzdem gibt es mehrmonatige Wartezeiten.

In Berlin gibt es im Schnitt 89 Berater, also auf 38.000 Einwohner einen. Wie dieser Schlüssel zustande kam, wissen wir nicht. Wir können aufgrund der Wartezeiten nur feststellen, dass der Bedarf höher ist.

Dennoch wollen nun einige Bezirke Stellen bei den Insolvenzberatungen streichen.

Vom Land aus werden erhebliche Kürzungen im Bereich Soziales vorgenommen, die an die Bezirke weiter gegeben werden. In einigen Bezirken werden deshalb wohl Stellen gestrichen.

Macht das nicht ihre Arbeit zunichte?

Die Frage nach politischen Prioritäten müsste beantwortet werden. Wo will man sie setzen? Wo ist es vertretbar zu kürzen und wo nicht? Solche Antworten fehlen.Bettina Heine ist Schuldner- und Insolvenzberaterin bei amos sowie stellvertretende Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung Berlin e.V. INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB