Wie Bayern – nur viel besser

Real Madrid gewinnt das Halbfinal-Hinspiel der Champions League gegen Barcelona mit 2:0. Dass dies vor allem dank einer überragenden Defensive geschieht, fassen die Spieler als Beleidigung auf

aus Barcelona RONALD RENG

Spät in der Nacht ging es im Mannschaftsbus von Real Madrid dann noch um Leben und Tod. Im Buch „The Keys to Hell“ nämlich, einem Thriller von Jack Higgins, das Mittelfeldspieler Steve McManaman als Reiselektüre dabeihatte. Der Engländer McManaman (Branchenname: der wahre Macca) ging darin noch mit Superspion Paul Chavasse auf gefährliche Mission in Albanien. Die restlichen 100.000, Spieler wie Zuschauer, die sich auf den Nachhauseweg machten, hatten hingegen genug von Spannung und Aufregung an diesem Dienstagabend. Es hat größere Fußballspiele gegeben zwischen den ewig eifersüchtigen Rivalen FC Barcelona und Real Madrid, aber wenig intensivere als diesen ersten Vergleich unter europäischem Motto seit 42 Jahren. Gestützt von 100.000 Fanatikern in seinem Stadion Camp Nou, rannte Barca an, energisch, fauchend – und wurde, wie so oft in seiner Geschichte, von Real nüchtern und zynisch auf seinen Platz verwiesen.

Zwei Wochen lang war dieses Halbfinale der Champions League in endlosen Medienberichten aufgebauscht worden. „Duell des Jahrhunderts“, schrie etwa das Sportblatt El Mundo – auf täglich 12 bis 20 Seiten. Und dann nahm Madrid mit eisig präzisem Konterfußball schlagartig die Hitze aus dem Vergleich. Nach ihrem 2:0-Sieg im Hinspiel, exekutiert durch zwei Kontertore von Zinedine Zidane und dem wahren Macca, scheint schon alles vorbei, wo es erst richtig losgehen sollte. Das Rückspiel in Madrid ist nur noch ein schnödes Abwicklungsgeschäft.

Doch bevor spät in der Dienstagnacht die Ernüchterung kam und Barcelona, die Spieler, die Zuschauer, die ganze Stadt, in einer Schockstarre zurückließ, offenbarte der Europapokal noch einmal seine Faszination im Camp Nou. Dieser Wettbewerb ist die beste Erfindung des Fußballs, selbst eine WM kann nicht dieselbe Magie entfalten wie der Europacup, wenn das Flutlicht brennt und im Knock-out-System um alles oder nichts gespielt wird.

Barca glaubte, es könnte in 90 Minuten eine ganze vermurkste Saison vergessen machen, seinen enttäuschenden fünften Platz, auf dem es derzeit in der Landesmeisterschaft herumhängt, all die wechselhaften Auftritte. Sie spielten den Ball immer wieder steil in die Tiefe des Raums, Thiago Motta, ein 19-jähriger Junge, der erst vor drei Monaten aus der Reserve aufgerückt ist, und der nur ein Jahr ältere Fabio Rochemback, den Bayern München vergangene Saison beobachtete und für nicht gut genug befand, waren in Abwesenheit des verletzten Spielmachers Rivaldo die überraschenden Antreiber. „Wenn du Fische willst, musst du dir den Hintern nass machen“, sagte Trainer Carles Rexach zu Barcas wuchtigem Einsatz. Doch ihre Angreifer, der überschätzte Javier Saviola und der merkwürdig lethargische Patrick Kluivert, verloren sich im weißen Irrgarten, den Real aufbaute: Wo Barca glaubte, es sei ein Weg, fand es doch immer nur eine Wand aus Madrider Verteidigern.

Real Madrid war Bayern München an diesem Abend. Das war die Ironie des Spiels – und natürlich wollte sie kein Madrilene erkennen. Achtmal in den vergangenen drei Jahren spielte Real gegen Bayern, jedes Mal blickten sie herab auf den Münchener Hang zur Defensive. „Bayern verteidigt nur, das ist primitiver Fußball“, sagte etwa Abwehrspieler Francisco Pavón, als sich vor zwei Wochen im Viertelfinale die Wege kreuzten. Am Dienstag spielte Real mit fünf Verteidigern und begnügte sich mit vereinzelten, dann aber hinreißend schönen, meist von Stürmer Raúl González initiierten Kontern: Genauso wie der FC Bayern, als er vergangenes Jahr im Halbfinale 1:0 in Madrid gewann.

„Noooooo!“, rief Sportdirektor Jorge Valdano, geradezu erschrocken über den Vergleich. „Bayern hatte damals eine einzige Torchance“, sagte er und streckte einen, den Zeigefinger, geradezu anklagend aus. „Wir hatten heute sieben Torchancen“, er streckte fünf Finger aus. Dabei war es doch als Kompliment gemeint: Dass Real schönen Angriffsfußball spielen kann, ist bekannt; mit ihrem Verteidigungsakt in Barcelona bewiesen sie aber, dass sie eine rundum starke Elf sind. Aber es war unmöglich, ihnen das zu sagen. „No, no“, sagte Steve McManaman hastig, „wir sind kein defensives Team. Das ist heute nur so passiert, dass wir defensiv wirkten, du weißt, was ich meine?“

Nicht wirklich, aber war auch nicht so wichtig. Es standen in dieser Nacht schließlich noch ganz andere Probleme an: Superspion Paul Chavasse wurde in Albanien enttarnt, ob er da heil rauskommt? Der wahre Macca wird es beim nächsten Mal wissen.