Bettina Gaus über Fernsehen Die Stunde des Verlierers

Darf einer, der gerade seine politische Laufbahn aufgeben musste, nicht ein bisschen beleidigt sein?

„Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich für weitere Interviews heute nicht mehr zur Verfügung stehe“, sagt der geschlagene Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt bei seinem einzigen Fernsehauftritt am Wahlabend. Es gibt noch jemanden, der auf unser Verständnis hofft! Wunderbar! Normalerweise wird das ja einfach vorausgesetzt, und dafür wird uns dann gedankt, ob bei Zugverspätungen oder Preiserhöhungen. Als sei der damit verbundene Ärger nicht schon unangenehm genug – es wird auch noch für unvorstellbar erklärt, dass wir ihn überhaupt empfinden.

Für Reinhard Höppner hätte ich deshalb schon allein wegen seiner Referenz an eine altmodische Höflichkeitsform gerne Verständnis aufgebracht. Aber ich habe es nicht geschafft. Beim besten Willen nicht. Dieser Rückzug in die eigenen Gemächer wirkte so fürchterlich beleidigt. „Ja und?“, fragt Klaudia. „Darf einer, der gerade einen richtigen Schlag in die Magengrube bekommen hat, nicht wenigstens mal einen Abend lang beleidigt sein? Die Öffentlichkeit schreit doch immer nach dem authentischen Menschen hinter dem Politiker. Wenn sich einer aber dann mal so benimmt, dann ist es auch wieder nicht recht.“

In Ordnung, ein Punkt für sie. Aber ein Regierungschef ist kein Einzelkämpfer, auch wenn das neue Wahlprogramm der SPD diesen Eindruck zu erwecken versucht. Höppner hat es anderen überlassen, die eigene Niederlage zu erklären. Das ist unfair. „Im Gegenteil“, meint Klaudia. „Durch sein Schweigen übernimmt er die alleinige Verantwortung. Er macht es damit seinen Parteifreunden leicht, sich von ihm zu distanzieren.“ Als ob die das nicht auch sonst hinbekommen hätten.

Es wäre schließlich nicht das erste Mal. Die PDS hatte nichts mit der Regierungspolitik in Sachsen-Anhalt zu tun, die SPD ebenso wenig mit der großen Koalition in Berlin, und die FDP stand offenbar jahrelang in Opposition zur Kohl-Regierung. Gerhard Schröder betrachtet seine Minister mit distanziertem Unverständnis, wenn sie im Kreuzfeuer der Kritik stehen. Edmund Stoiber hat keine Ahnung von der Geschäftspolitik der Bayerischen Landesbank. Und da sollte die SPD sich ausgerechnet von Höppner nicht zu distanzieren vermögen? Lächerlich. „Ich sage dir, was dich wirklich irritiert“, meint Klaudia. „Dass einer nicht mehr mitspielt und einfach die Regeln bricht. Und am nächsten Tag auch noch so erkennbar erleichtert ist, dass er das jetzt alles hinter sich hat.“

Erleichtert? Reinhard Höppner? Ja, tatsächlich. Er ist eben ein ostdeutscher Politiker. Das heißt: Er hatte ein Leben vor der Politik, und offensichtlich kann er sich auch eines danach vorstellen.

Natürlich behaupten sie alle, dass sie das können. Kurt Biedenkopf sitzt mit Ehefrau Ingrid bei Beckmann und spricht davon, dass seine Schultern jetzt leichter sind, weil keine so schwere Verantwortung mehr auf ihnen lastet. Er ist froh darüber, dass er endlich keinen Chauffeur mehr hat und nicht mehr von Sicherheitspersonal umgeben ist. Sein Landtagsmandat will der ehemalige sächsische Ministerpräsident aber behalten. Weil ihm das die Freiheit gibt, ganz in Ruhe entscheiden zu können, was er jetzt machen will. 72 Jahre ist er alt.

Sie wollen nicht loslassen, die westdeutschen Politiker. Jedenfalls die Männer nicht. Oskar Lafontaine scheint zu glauben, dass ihn die Parteifreunde endlich, endlich wieder mitspielen lassen, wenn er nur laut genug schreit. In der Bild-Zeitung macht sich der ehemalige SPD-Vorsitzende mit immer grobschlächtigeren Angriffen gegen die Regierung zum nützlichen Idioten der Opposition. Aber vielleicht kommt seine große Stunde ja wirklich noch. Dafür ist es offenbar nie zu spät. Dem Vernehmen nach will Edmund Stoiber jetzt Lothar Späth in seine Führungsmannschaft holen. Als „Mann von außen“. Wie bitte? Gehörte der 64-Jährige nicht recht lange zur CDU-Spitze? Egal.

Reinhard Höppner hat am Wahlabend seinen Rückzug aus der Politik angekündigt, ohne ein einziges Mal davon zu sprechen, wie glücklich er ist, endlich mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. Wer wird am Abend des 22. September seinem Beispiel folgen? Bei Kneipengesprächen sinnieren in diesen Tagen auffallend viele derjenigen, die 1998 Rot-Grün gewählt haben, über die Zukunft der Regierungsprominenz im Falle einer Niederlage. Kann sich Gerhard Schröder in die Rolle des Oppositionsführers finden? Bleibt Joschka Fischer bei den Grünen? Und was wird aus Leuten wie Rezzo Schlauch? Mich interessiert etwas anderes eigentlich viel mehr. Haben vor vier Jahren auch die Anhänger der Union über ähnliche Fragen geredet?

Fragen zum Fernsehen?kolumne@taz.de