Schröder hat ein Programm!

Der SPD-Vorsitzende gibt sich bei der Präsentation des Wahlkampfkonzepts seiner Partei ausnahmsweise mal ganz programmatisch. Er weiß, dass Papier geduldig ist, und hat deswegen sogar den Linken Zugeständnisse gemacht

aus Berlin JENS KÖNIG

Die Menschen, um die sich alles dreht, haben einen großen Vorzug gegenüber anderen, weniger berühmten Menschen: Sie können immer so tun, als drehe sich gar nicht alles um sie, obwohl sie doch wissen, dass das genaue Gegenteil richtig ist. Gerhard Schröder gehört zu diesen Menschen, ohne die nun wirklich gar nichts läuft, ganz besonders in der SPD, und er hat ein untrügliches Gespür dafür, wo und wann man diese Machtstellung am besten dementiert und stattdessen sympathische Bescheidenheit zur Schau stellt.

Seit Tagen wird hoch und runter geschrieben, die SPD betreibe Personenkult, sie setze im Wahlkampf einzig und allein auf ihren Kanzler, und die intellektuelle Leistung ihres Wahlkampfkonzepts bestehe darin, gar kein Konzept zu sein. Und was macht Schröder? Er spricht bei der Präsentation ebendieses Wahlprogramms geschlagene 75 Minuten über nichts anderes als dieses Programm, fast Punkt für Punkt führt er es aus. Er nennt die drei Schwerpunkte des Wahlkampfes – Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Bildung und Forschung, Kinder und Familie – und erklärt ausführlich, dass der Titel des jetzigen Papiers („Erneuerung und Zusammenhalt“) eine zeitgemäße Übersetzung des Slogans von 1998 („Innovation und Gerechtigkeit“) sei. Es ist es gerade mal zwei Tage her, da hatte er noch gesagt, dass es bei der Bundestagswahl um eine ganz einfache Frage gehe: „Wollt ihr den Bundeskanzler Schröder oder wollt ihr den Stoiber?“ An diesem Mittwoch tut Schröder die ganze Zeit so, als gehe es im Herbst um die Frage: Wollt ihr unser Programm oder das von denen?

Nur einmal, als er gefragt wird, was denn wichtiger sei, das Programm oder die Person, spricht Schröder über sich. Natürlich sei es so, dass es in der Endphase des Wahlkampfes ganz wesentlich auf den Kanzler und seinen Herausforderer ankomme. Aber erstens sei das „ganz, ganz normal“ und zweitens heiße das nicht, dass in dieser Auseinandersetzung das Programm keine Rolle spiele. Schröder erklärt das Verhältnis seiner Person zum Wahlprogramm dann in etwas eigentümlicher Dialektik: „Das ist mein Programm, weil es unser Programm ist. Und es ist unser Programm, also ist es auch mein Programm.“

Diese gespielte sozialdemokratische Programmfestigkeit und seine Grundüberzeugung, dass Wahlprogramme sowieso kaum gelesen werden, haben Schröder am Vorabend dieser Präsentation ganz friedfertig gestimmt. Der SPD-Parteivorstand war zu einer Sondersitzung zusammengekommen, um den Programmentwurf noch einmal zu diskutieren. Voraussetzungen für eine entspannte Debatte waren eigentlich nicht gegeben.

Einige Vorstandsmitglieder waren sauer, weil das parteiinterne Papier wie eine Geheimstudie des Pentagons über den unbekannten Aufenthaltsort von Ussama Bin Laden behandelt worden ist. Erst am Sonntagnachmittag bekamen sie es per E-Mail zugesandt. Auf allen Sitzungen vorher wurde der Programmentwurf nur mündlich referiert, ausgeteilt wurde das Papier nicht. Außerdem hatte die Parteilinke das Programm als zu luftig und zu sehr auf Schröder fixiert kritisiert. Doch nach vier Stunden „harter, aber herzlicher Debatte“, wie Vorstandsfrau Andrea Nahles hinterher bemerkte, war der Programmentwurf plötzlich einstimmig angenommen. Er soll jetzt in der SPD diskutiert und dann Anfang Juni auf einem Wahlparteitag in Berlin verabschiedet werden.

Teilnehmer der Sitzung erlebten einen ziemlich aufgeräumten Parteivorsitzenden. Es gab bei mehreren Änderungsanträgen der Parteilinken „so gut wie keinen Widerstand des Kanzlers“, wie Hermann Scheer am nächsten Morgen immer noch erstaunt feststellte. Der Sozialexperte Ottmar Schreiner glaubt, in der schwierigen Situation, in der sich die SPD befinde, sei allen Vorstandsmitgliedern klar gewesen, dass sich die Partei nicht wochenlang wegen des Wahlprogramms verkämpfen könne. Ein anderer vermutet, Schröder habe sich mit dem Entwurf vorher kaum beschäftigt und sich in der Debatte deswegen flexibler gezeigt als beispielsweise Generalsekretär Franz Müntefering, der die Endfassung im Alleingang formuliert hatte. An einigen Punkten setzte sich der Parteivorsitzende sogar über Bedenken seiner Spezis Frank-Walter Steinmeier, Wolfgang Clement und Sigmar Gabriel hinweg.

So finden sich im Programm jetzt einige Änderungen, die man vorher kaum vermutet hatte. Ein Bekenntnis zur rot-grünen Koalition gibt es darin ebenso wie eine Absage an eine Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene. Ausdrücklich abgelehnt wird ein Absenken der Arbeitslosenhilfe auf das Niveau der Sozialhilfe. Jedem Schulabgänger wird eine Beschäftigung garantiert.

Natürlich ist der Kanzler davon überzeugt, dass Papier geduldig ist, Wahlkampfpapiere allemal. Trotzdem nickt er freundlich, als sein General Franz Müntefering das SPD-Wahlprogramm in einen knappen sauerländischen Hauptsatz packt: „Wir haben drei Ks. Kanzler, Konzept, Kompetenz.“ Für Schröder sind das wahrscheinlich alles Synonyme. Aber sei’s drum.