Ende eines zähen vierten Akts

Claudio Abbado dirigiert sein letztes Konzert als Chef der Berliner Philharmoniker. Eine krachendes Finale war es so wenig wie die letzten Jahre. Sein Verdienst: Er hat das Orchester behutsam vom übermächtigen Schatten Herbert von Karajans befreit

von BJÖRN GOTTSTEIN

Claudio Abbado hat sein letztes Konzert als Chef der Philharmoniker in Berlin dirigiert, seinen Abschied allerdings hat er schon längst genommen. 1998 hatte Abbado bereits erklärt, seinen Vertrag über die Spielzeit 2001/02 hinaus nicht verlängern zu wollen. Die vier Jahre, die seither vergangen sind, glichen einem zähen vierten Akt, dem jetzt aber kein krachendes Finale folgen will. Anstatt sich am Donnerstagabend mit einer x-beliebigen abschiedstaumelnden neunten Sinfonie zu verabschieden, schlich Abbado sich auf Ab- und Nebenwegen wegen aus dem Berliner Konzertleben: mit Liedern von Brahms und Mahler und schließlich sogar im Halbdunkel, die Szenen eines „Lear“-Films mit Musik von Dmitri Schostakowitsch begleitend.

Aber einen echten Grund zum Jubeln meint man auch nicht erkennen zu können; die Philharmoniker wurden in den letzten Jahren unter Abbado von Leid geprüft. Nicht dass der Dirigent nicht auch immer wieder musikalisch überzeugen konnte. Mit ihrem Beethovenzyklus bezwangen die Berliner unter Abbado im vorvergangenen Winter noch die hartgekochteste Kritik. Nachdem sich das Orchester aber schon bald auf einen Nachfolger, Sir Simon Rattle, geeinigt hatte, gerieten die vergangenen Spielzeiten zu einer überdehnten Übergangsphase.

Querelen blieben nicht aus. Abbado überwarf sich mit seinem Intendanten Elmar Weingarten dem daraufhin Franz Xaver Ohnesorg folgte. Überschattet wurde diese Zeit aber vor allem durch die schwere Krebserkrankung, die der Dirigent 1999 erlitt. Das Ende seiner Berliner Ära wird ihm jetzt auch kaum als Befreiungsschlag erscheinen; für die kommende Spielzeit hat er – offenbar schlicht müde – nur wenige Engagements übernommen.

Blickt man heute auf die zwölf Jahre unter Claudio Abbado zurück, dann fällt ein musikalisches Resümee zunächst schwer. Echte Höhepunkte und deutliche Akzente hat es kaum gegeben. Abbados eigentliche Leistung erhellt sich wohl erst vor der Geschichte dieses Orchesters. Der italienische Dirigent übernahm 1989 die undankbare Aufgabe, die Berliner Philharmoniker vom Diktat Herbert von Karajans zu befreien.

Abbado hat das Orchester behutsam und weitsichtig in eine neue Ära geführt. Er hat es verjüngt und das Selbstbewusstsein der Musiker herausgefordert. Sicher: Abbados Programme geraten oft ein wenig konservativ, mit einem Hang zur Spätromantik. Im Vergleich mit den Karajan’schen Highlight-Repertoire aber erscheint es aber geradezu als revolutionär. Und eine weitere Neuerung konnte Abbado durchsetzen: Als erster Dirigent wird er nicht durch den Tod von diesem Orchester geschieden.

Vielleicht hat Abbado selbst erkannt, das er – heute 68 Jahre alt – den Ansprüchen eines modernen Orchesters, auf das er die Berliner hinführte, selbst nicht mehr genügen können würde. Mit seinem Nachfolger, das haben dessen häufige Gastspiele hinlänglich bewiesen, beginnt bei den Berliner Philharmonikern nun tatsächlich eine neue Epoche, in der zeitgenössische Musik und alternative Konzertformen deutlich an Gewicht gewinnen dürften.