Schattenwirtschaft als Chance

Berlin ist die Hauptstadt der Schwarzarbeit. Jeder fünfte Euro wird schwarz erwirtschaftet. Das ist erschreckend, sagen die Kritiker. Doch eigentlich ist es nicht überraschend. Was sind denn die Alternativen in einer Armutsmetropole und Grenzstadt?

fragt UWE RADA

Schwarzarbeit, Schattenwirtschaft, informelle Ökonomie, Onkelwirtschaft – die Liste der Begriffe, die um den wirtschaftlichen Sektor jenseits von Steuernummer und Sozialversicherung kreisen, ist lang. Vor allem „Schattenwirtschaft“ und „Schwarzarbeit“ transportieren eine eindeutige Botschaft: Hier bereichern sich einige Wenige – illegal zudem noch – auf Kosten der Allgemeinheit. Und das in zunehmendem Maße.

Doch die Zunahme der informellen Ökonomie in einer Stadt wie Berlin beschreibt eben nicht nur juristische und moralische Realitäten, sondern auch soziale. Wer an der Armutsgrenze lebt, findet nur schwer den Anschluss an die Legalökonomie – weder als Anbieter noch als Nachfrager. Stattdessen versucht er sein Einkommen durch „Schwarzarbeit“ zu verbessern und manchmal, zum Beispiel bei einer Wohnungsrenovierung, beschäftigt er auch „Schwarzarbeiter“. Ohne „Schwarzarbeit“ würde damit ein Teil des umgesetzten Bruttoinlandsproduktes gar nicht realisiert werden. Der informelle Sektor und der formelle stehen nicht nur in Konkurrenz, sondern auch in einem gegenseitigen Wechselverhältnis.

Solche Befunde sind es, die den Ökonomen Stefan Welzk, der in der schleswig-holsteinischen Landesvertretung in Berlin arbeitet, das Fazit ziehen lassen, Berlins wirtschaftliche Chance bestünde überhaupt nur in einer „Symbiose einer grundlegalen, hochseriösen modernen Wirtschaft mit einer von Immigranten vitalisierten wildwüchsigen Marginalökonomie“. Sie bilden, so Welzk, „das Amalgam, von dem die Stadt leben wird“.

Welzk verweist damit auf mindestens drei Dinge, die in der Diskussion um „Schwarzarbeit“ meist unter den Tisch fallen. Erstens die Abhängigkeit der Legalökonomie vom informellen Sektor. Zweitens die wirtschaftliche Bedeutung der informellen Ökonomie für eine Armutsmetropole wie Berlin. Und drittens die Lage Berlins als Grenzstadt zu Mittel- und Osteuropa.

Dass Legalökonomie und informeller Sektor zusammengehören, ist vor allem in Großstädten nichts Neues. In ihren Beiträgen zur Dienstleistungsökonomie in den „Global Cities“ hat die US-Ökonomin Saskia Sassen schon früh auf die Symbiose beider Wirtschaftsformen hingewiesen. Ihre These: Eine Zunahme hochwertiger Dienstleistungen ist ohne ein verstärktes Angebot an niedrigen Dienstleistungen nicht möglich. Das gilt auch für Berlin. Wer hier in der Medien- oder IT-Branche arbeitet, verbindet damit auch einen bestimmten Lebensstil. Und zu dem gehört nicht selten eine Haushaltshilfe aus Kroatien, ein Masseur aus Bulgarien und im Umzugsfall eine Handwerkerbrigade aus Polen. Mehr, das heißt legale Dienstleistungen, kann man sich eben nicht leisten, vor allem nicht bei den Löhnen in Berlin.

Damit wären wir schon bei Punkt zwei. Es sind nur zum geringen Teil kriminelle Unternehmer, die – vor allem in der Baubranche – für den rasanten Anstieg der informellen Ökonomie in Berlin sorgen und mit Schwarzarbeitern ihren Profit erhöhen. Viel mehr sind es die privaten Haushalte, die Berlin zur „Hauptstadt der Schwarzarbeit“ machen. Nachgefragt werden Jobs und Cash auf die Hand sowohl von denen, die sich eine Arbeit auf Rechnung nicht (oder nicht mehr) leisten können als auch von denen, für die bestimmte Arbeiten dadurch erst möglich werden. Das reicht vom Fußbodenabschleifen bis zur Autoreparatur beim Schrotthändler. Gleiches gilt im Übrigen nicht nur für die Nachfrager, sondern auch für die Anbieter, die mit Schwarzarbeit ihre prekäre Einkommenssituation verbessern und damit nicht selten selbst zu Nachfragern werden.

Dieser Kreislauf gehört zur den wirtschaftlichen Realitäten einer Armutsmetropole. Manche, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Susanne Butscher, gehen sogar noch weiter. In einer Studie über „Überlebensökonomie in Berlin“ stellt Butscher „deutliche Parallelen zwischen dem informellen Sektor in Berlin und dem in Metropolen von Entwicklungsländern“ fest.

Kein Aspekt im Zusammenhang mit der Schwarzarbeit ist allerdings emotionsgeladener als die Beschäftigung von Arbeitsmigranten aus Mittel- und Osteuropa. Vor allem die bevorstehende Osterweiterung der Europäischen Union schürt hier viele Befürchtungen und Ängste. Doch ist nicht der bereits heute hohe Anteil der Schattenwirtschaft von 21,6 Prozent ein Hinweis darauf, dass ein Großteil der „Osterweiterung“ auf dem Arbeitsmarkt längst vollzogen ist? Im Übrigen: Keiner, so sagen es Migrationsforscher, macht sich aus Polen oder anderswo auf gut Glück auf den Weg. Zunehmende Arbeits- oder Pendelmigration ist somit auch ein Spiegel steigender Nachfrage auf dem informellen Sektor. Die Lage Berlins als Grenzstadt zum Osten hat nicht nur für „illegale“ Arbeitsmigranten, sondern auch ihre Bewohner Vorteile.

Wer jedoch nur in Kategorien von Schwarzarbeit und Weißarbeit denkt, wird diese Chancen nicht erkennen und darüber hinaus die ohnehin vorhandenen Ressentiments verstärken. Dabei wäre gerade ein genauerer Blick auf die Realitäten förderlich. Schließlich ist die informelle Ökonomie, wie die Wirtschaftswissenschaftlerin Butscher herausgefunden hat, vor allem eine Antwort auf den zunehmend dauerhaften Ausschluss vom ersten Arbeitsmarkt, mithin also eine „Überlebensnische ökonomisch marginalisierter Bevölkerungsschichten“. Dazu gehört auch, dass die meisten im informellen Sektor Beschäftigten „sofort ein formales Arbeitsverhältnis annehmen würden“.

Die Motive derer, die wirtschaftlich ein „Schattendasein“ pflegen, haben also, bei aller Unterschiedlichkeit, eines gemeinsam: Sie sind eine Reaktion auf die Schwäche des ersten Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherungssysteme, die alleine keine ausreichende Existenz mehr gewährleisten. Und für viele, vor allem Migranten, ist die informelle Ökonomie, der Platz in der ethnischen Onkelökonomie, inzwischen zur einzigen Alternative zur tatsächlich kriminellen Existenz geworden – und manchmal sogar zum Ausgangspunkt einer legalen Karriere.

Auch das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man nach den neuesten Zahlen wieder einmal über Alternativen nachdenkt. Was wäre, wenn man tatsächlich flächenddeckend gegen „Schwarzarbeit“ vorginge und die Grenzen nach Osteuropa wieder schlösse? Wahrscheinlich würde man dann beim nächsten Mal den rasanten Anstieg der tatsächlichen Kriminalität beklagen.