Rot-roter Sparbetrieb in Berlin

Seit 100 Tagen regieren SPD und PDS in der Hauptstadt. Die rot-rote Koalition steht weniger für innovative Konzepte als für den Alltag des Sparens. Nur Gysi punktet

In Berlin wird nicht mehr politisch gedacht, sondern Prozenterbsen gezählt

BERLIN taz ■ Kann man aus Schulden Chancen machen? Diese Frage eines Diskussionsabends zur Zukunft Berlins just in dieser Woche umfasst das Dilemma, in der sich die Berliner Landesregierung befindet. Kann man mit weniger als nichts überhaupt noch gestalten? Die Antwort muss lauten: Je weniger Geld, desto mehr Ideen sind vonnöten!

Seit 100 Tagen ist die unter ideologischen Unkenrufen an die Macht gekommene rot-rote Koalition im Amt und seit 100 Tagen wird in dieser Stadt nicht mehr politisch gedacht, sondern Prozenterbsen gezählt und gestrichen. Statt weiter Anspielungen auf die SED-Vergangenheit der PDS zu lancieren, begnügt sich selbst die Opposition mit sachlicher Kritik.

Die allerdings fällt haarig aus: Es fehle ein Gesamtkonzept zur Entwicklung der Hauptstadt. Das ist leider wahr. Die Anfänge von Rot-Rot lässt ein solches zumindest in keiner Schublade vermuten. So gab das rot-rote Bündnis sein als „Mentalitätswechsel“ angekündigtes Debüt, in dem es die Schließung eines Universitätskrankenhauses verkündete. Ausgerechnet im CDU-dominierten Westteil der Stadt sollte die Sparaxt ansetzen. Das gab heftigen Gegenwind und für kurze Zeit auch wieder Kalte-Kriegs-Rhetorik. Gegenwärtig tagt zwar eine Expertenkommission, ob und wie das Klinikum zu erhalten sei. Der Eindruck, dass hier eine Schuldenverwaltung mit unausgegorenen Sparvorschlägen am Werke sei, hat viele Berliner dennoch nicht mehr verlassen.

Der Überbringer von schlechten Nachrichten ist selten beliebt. So mag nicht verwundern, dass die scheibchenweisen und im wöchentlichen Rhythmus erfolgten Horrormeldungen zur Finanzlage Berlins die Regierung keineswegs vertrauenswürdig machten. Statt dem Image des Aufklärers haftet insbesondere der SPD eher der Zweifel an, nicht wirklich alles zur Klärung des Bankenskandals zu leisten. Überrascht hat dabei die PDS. Mit ihrem seufzenden Ja zur Übernahme der affärenbedingten Bankenrisiken in Höhe von 21 Milliarden Euro durch das Land Berlin hat sie mehr Pragmatismus bewiesen, als selbst den Kritikern lieb gewesen wäre. Ihre Anhänger schütteln den Kopf. Seit wann sind Sozialisten für die Privatisierung von Gewinnen und die Vergesellschaftung von Schulden?

Ein konfuses Bild vermittelte zudem der Mann, der einen weit über die Landesgrenzen hinaus verantwortungsvollen Posten bekleidet. Gemeint ist der PDS-Kultursenator Thomas Flierl. Statt die „Leuchttürme der Stadt“, die Opern, Theater, Museen und Kultureinrichtungen der Stadt, mit intelligenten Konzepten vor dem Sparhammer zu retten, kündet der Meister der Petitessen Kürzungen an und schickt die Widerrufe gleich hinterher. Wer blickt da noch durch?

Erwartungsgemäß punkten tut allein der erste sozialistische Wirtschaftsminister der Bundesrepublik, Gregor Gysi. Mit Witz und Verve bewies er bei anstehenden Unternehmensschließungen, dass er durchaus die Ärmel hochkrempeln kann. Gysi redet nur selten um den heißen Brei und vergisst aus Koketterie nicht, stets auf seine Message als Frauensenator zu verweisen.

Bleibt aber die Enttäuschung über die missratene Außenwerbung dür die Hauptstadt. Die Berliner verkraften zwar schon seit Monaten serienmäßig schlechte Nachrichten. Als aber vergangene Woche der rot-rote Senat kurz hintereinander erst den Zuschlag für die Leichtathkletik WM verpatzte, nur um dann mit einer wegen verheerendem Krisenmanagement beim Stadtmarathon Istaf vermasselten Auftritt auch noch den Zuschlag fürs Medienzentrum der Fußball-WM 2006 zu vermasseln – da war dicke Luft. Schon lange oszilliert der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zwischen Beliebtheit und Ratlosigkeit in der Bevölkerung. Ihm gelingt es immer weniger, den Sparkurs des rot-roten Senats überzeugend zu verkaufen. Nun, nach den ersten hundert Tagen und der ersten Harmonie, beginnt die Suche nach den Schuldigen.

Der scheint auch schon gefunden. Es soll, nach Meinung fast aller Ressorts, natürlich der Finanzsenator Thilo Sarrazin sein. Er verschreibt ein rigides Sparkorsett und verteilt schnodderige Anmerkungen. Kein Wunder, er wurde als Sanierer der Privatwirtschaft geholt. So und nicht anders spart er nun auch die Hauptstadt zusammen.

Ob Rot-Rot an der Spree eine Erfolgsgeschichte wird, kann noch niemand sagen. Mit vereinzelten Kürzungen wird es nicht getan sein. Wichtig ist es, der deutschen Hauptstadt ein neues Selbstverständnis zu geben. Ein Manko, das sich in absurden Debatten widerspiegelt. Für seine neue Mitte soll Berlin einen Nachbau des Hohenzollernschlosses erhalten. Flucht in das Gestern, weil es keine Idee vom Morgen gibt.

ADRIENNE WOLTERSDORF

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