Ausgelöscht, vergessen, nie je existent

■ Spiel mit Digitalisierungseffekten: Michael Najjars Fotoprojektion an die Galerie der Gegenwart

In ihrer zweiten Ausgabe wirbt die Triennale der Photographie mit großem Einsatz für Interesse. Dazu gehört die aufwendige und – auf Grund eines fast unüberwindbar schwerwiegenden Bündels von Rechtsvorschriften – wohl einmalige Projektion von Fotos auf die Fassade der Galerie der Gegenwart. Mit der zwanzigfachen Lichtstärke einer normalen Diaprojektion wird noch bis Sonntag am Glockengießerwall die Bildserie No Memory Access des Berliner Fotografen Michael Najjar auf die linke Hälfte des Ungerswürfels geworfen. Die 20.000 Ansilumen starken, computergesteuerten, metergroßen Projektoren, deren Mietkosten etwa 2000 Euro pro Tag betragen, überbrücken die zwölfspurige Straße und zaubern auf Initiative des Galeristen Cato Jans auf die Steinplatten der Kunsthallenfassade ein poetisch-philosophisches Bilderrätsel um die Konstruktion der Erinnerung.

Michael Najjar lässt auf seinen zwölf weltweit erstellten Bildpaaren die Menschen verschwinden: Sanft und zuerst unmerklich lösen sich der Fußballer am Strand, die Einkäuferin im Supermarkt und der Beduine in der Wüste einfach aus dem Bild heraus. „War da was?“, scheint der danach trostlos leere Raum zu fragen und macht die fragile Zufälligkeit menschlichen Daseins deutlich.

Und während die Bilderserie so einerseits im Dienst barocker Traditionen von memento mori-Inszenierungen und Vanitasbildern steht, ist sie – gemäß dem Triennale-Motto „Reality-Check“ – andererseits auch eine Reflektion über die heute extreme Manipulierbarkeit elektronischer Bilder. „Man muss sich beeilen, wenn man etwas sehen will. Alles Verschwindet“, hat schon Paul Cezanne gesagt. Und trotz der Erfassung der Welt durch Milliarden von Fotos trifft das angesichts der um sich greifenden Digitalisierung exakt ein Problem unserer Zeit. Archive können das Gedächtnis kaum noch entlasten, wenn sie keine realen Objekte an einem realen Ort ablegen. Und in immateriellen Speichern können Menschen und Bilder nun auf Knopfdruck für immer restlos verschwinden. Gerade indem die digitalen Bildmaschinen immer perfekter werden, bildet deren zunehmende Ähnlichkeit mit der Funktionsweise des menschlichen Gehirns auch dessen subjektive und manipulative Selektion nach: Falsche Erinnerungen und gänzliches Vergessen.

Dem scheint Martin Liebscher allerdings entgehen zu wollen durch die geradezu entropische Vervielfältigung seiner Person in seinen Fototableaus. Zigfach bevölkern er und seine Klone Büros, Bars und Bühnen. Auch diese Variante einer Realitätsüberprüfung wird im Außenraum zu sehen sein: Ab Ende Mai als 300 Quadratmeter großes Dia am neuen Deichtorcenter am Oberhafen. Hajo Schiff

Michael Najjar: No Memory Access, Fassade der Galerie der Gegenwart Richtung Glockengießerwall, 20 bis 1 Uhr, bis 28. April

Martin Liebscher: Liebscher Brothers in Concert, Großdia am Deichtorcenter, 22.–31. Mai.