Engländer essen irische Pizza

Fertigprodukte belegen bei den Exporten noch vor Rindfleisch den ersten Platz

Irland ist im kollektiven Bewusstsein immer noch als mehr oder weniger armes Land verankert. Doch hinkt diese Vorstellung den realen Veränderungen hinterher: 1997 erreichte das irische Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf den EU-Durchschnitt. Der Wirtschaftsboom Irlands beruht in erster Linie auf Entwicklungen, die unter dem Begriff „Celtic Tiger“ zusammengefasst werden: Chemie, Elektronik, Software und die damit verbundenen Dienstleistungen führten in den vergangenen Jahren zu einem Wirtschaftswachstum, von dem andere europäische Länder nur träumen dürfen. In den letzten 30 Jahren kamen, angezogen von massiver staatlicher Förderung, über 1.000 ausländische Industrieunternehmen ins Land.

Finanziert wurde der Erfolg unter anderem durch Geld der Europäischen Union: Irland erhielt zwischen den Jahren 1994 und 1999 rund 7,3 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2006 sind ihm EU-Hilfen in Höhe von 13,33 Milliarden Euro zugedacht.

Die Landwirtschaft ist aus dem irischen Wirtschaftsleben nicht wegzudenken, obwohl der Agrarsektor nur 3,5 Prozent zum BIP beiträgt. Doch diese nackte Zahl täuscht, denn in der Landwirtschaft arbeiten 135.000 Menschen, die für 10 Prozent aller irischen Exporte sorgen. Exportiert werden insbesondere Fleisch und Fleischprodukte, die 25 Prozent aller Nahrungs- und Getränkeexporte ausmachen.

Neun von zehn geschlachteten Rindern gehen ins Ausland, ebenso zwei von drei Lämmern. Damit ist Irland der wichtigste Rindfleischexporteur der nördlichen Hemisphäre. Und das, obwohl die Exporte, bedingt durch die Rinderseuche BSE, im Jahr 2001 mit 900 Millionen Euro um rund 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr drastisch eingebrochen sind.

Ein weiteres Standbein ist die Ausfuhr von Milchprodukten in Höhe von 1,7 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass mehr als zwei Drittel der irischen Agrarfläche als Wiese für die Grasgewinnung verwendet wird.

Gemessen an der gesamten Industrieproduktion nimmt die Nahrungs- und Getränkeindustrie mit 30 Prozent den zweiten Platz in Irlands Exportgeschäft ein. Diese Branche wird von etwas mehr als 700 Unternehmen getragen, in denen rund 40.000 Menschen arbeiten. Getränke tragen 10 Prozent zum Branchenergebnis bei.

Ein Problem ist der geringe Verarbeitungsgrad der hergestellten Waren, denn mit unverarbeiteten Produkten lässt sich weniger Geld verdienen. Deshalb will die irische Regierung in Zukunft besonders die Produktion höherwertiger und verarbeiteter Waren fördern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Osterweiterung, die dazu führen wird, dass mehrere landwirtschaftlich strukturierte Länder Irland Konkurrenz machen werden.

Noch vor drei Jahren war der in Irland mit Landwirtschaftprodukten geschaffene Mehrwert nur halb so groß wie jener in Dänemark. Dieses Defizit baut die Grüne Insel langsam ab, so dass die Herstellung von Fertiggerichten mittlerweile der am schnellsten wachsende Bereich der Nahrungsmittelindustrie ist. Im Jahr 2000 überflügelte die Ausfuhr von Fertigprodukten erstmalig die von Rindfleisch.

Irland besitzt die europaweit größten und schnellsten Herstellungsanlagen für Fertiggerichte. Eine Domäne ist die Pizza, die sehr oft im Auftrag anderer Marken hergestellt wird. England isst zum großen Teil Pizzas, die in Irland produziert wurden. Die Verbraucher wissen es nur nicht. In Zukunft will Irland eigene Marken auf dem europäischen Markt etablieren.

Eine aktuelle Entwicklung ist die Konzentration auf Spezialitäten, die in kleinen oder mittelständischen Betrieben, in denen Handarbeit noch eine große Rolle spielt, hergestellt werden. Gab es in der Vergangenheit in Irland fast ausschließlich Cheddar-Käse zu kaufen, so ist die Vielfalt mittlerweile auf rund 30 Käsesorten angewachsen. Auch für die Produktion und den Export hochwertiger Schokolade werden große Anstrengungen unternommen.

Nach Umsatz und Umfang spielen solche Spezialitäten bisher noch keine große Rolle, aber sie bieten im Gegensatz zur Massenproduktion von Nahrungsmitteln wesentlich günstigere wirtschaftliche Aussichten.

TILMAN VON ROHDEN